Carl Gibson

Symphonie der Freiheit

Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur

 

Chronik einer tragischen Protestbewegung in Augenzeugenberichten, Erinnerungen und Essays

 

 

Prolog: Bei der UNO in Genf 5

 

Weiße Rosen. 5

Ion. 8

Eiszeit – Zum Status quo Anno Domini 1981. 9

Im Palais des Nations. 12

Das SLOMR-Unterstützungskomitee. 18

Politiker-Los – Ministerpräsident? Präsident? Senator! 19

Ankündigung der UNO-Klage gegen das Ceauşescu-Regime. 24

Afrika – und sein langer Weg zur Freiheit 27

Die Fontänen von Genf - oder: Im Zweifel für die Freiheit 30

Schönheit und Vergänglichkeit 33

Erzengel Michael und Die Protokolle der Weisen des Zion. 35

Hitlers Paradigma – Antisemitismus und Hetze. 37

Der Antichrist?. 39

Katharsis. 40

Sorgen und Gefahr – eine Selbstapologie. 40

 

1. Satz: Bolero - Aktion. 46

 

In Bukarest. Freiheit und Menschenrechte für alle – Aufbruch im Morgenrot 46

Die Mittel der Inquisition - oder: Die Grenzen des Menschen bei Folter 54

Grenzphänomene. 59

Am Pranger - oder: Wie ein Schauprozess ins Wasser fiel 61

Pontius Pilatus: Wenn sie sie schlagen wollen, dann sollen sie sie schlagen! 64

Das Tribunal der Arbeiter 66

Im selbst gewählten Reigen – oder: Von passiver zu aktiver Dissidenz. 69

Pontifex Felix - der Musiker 70

Der Alte – Aristokrat, Philanthrop und Mentor 82

Erwin – Geist in der Revolte. 87

 

2. Satz: Kontratanz. 92

 

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! Auf dem Weg zur Freien Gewerkschaft 93

In der Deutschen Botschaft – Enthusiasmus und Desillusion. 99

Nick und der Geist des Liberalismus. 104

Dialog im Park – Entstehung und Erstickung einer Bürgerbewegung. 111

Im Jakobiner-Club – Bürgerrechtler und Oppositionelle zwischen Konspiration und Komplott?  119

Von Abraham Lincoln zur CIA – oder: Von starken und von schwachen Präsidenten. 127

Das Gründungsdokument – oder: Die Rose des Sozialismus. 135

Von der Kunst der Fuga – Oder: Wo bleiben die Löwenjungen?. 140

Die Liste wächst – oder: Vom Mut der Verzweifelten und vom Versagen der Eliten. 143

SLOMR-Präsident Fenelon Sacerdoţeanu – Fels in der Brandung. 147

Machiavellische Maskerade. 151

 

3. Satz: Valse triste – Repression und Passion. 154

 

Die Verhaftung – Treulich geführt 154

Die Diktatur schlägt zurück – Die Erstickung der freien Gewerkschaftsbewegung. 157

Im Kreuzverhör – oder: Über die peinliche Befragung im Sozialismus. 159

Die Geißelung – Terror und Gewalt 160

Ein Wind. 164

Psychoterror 165

Konsequenzen. 167

Von der unseligen Wiederkunft des Gleichen und vom Brechen des Willens. 169

Der Tag danach – oder: Ein Paria und ein General 176

Vorboten der Revolution von Temeschburg - oder: Wie man Studentenproteste erstickt 179

Ein kurzer Prozess - oder: Vom sozialistischen Ostrakismus. 181

Absurdes Theater 186

Dekret, Despotie und Kakophonie. 189

Proteus – oder: Aus Liebe zur Wahrheit….. 193

Die Gedanken sind frei - selbst im Kerker 194

Der Gefängnis-Direktor 197

Im Bau - ein Tag aus dem Leben eines politischen Häftlings. 201

Graubrot und Turtoi 207

Allein, doch nicht einsam - oder: Von innerer Freiheit 210

Purgatorium.. 213

Arpakasch. 215

Auge in Auge – oder: Ein Morgenspaziergang mit Aufpasser 217

Arbeit macht frei – Suum cuique. 222

Charaktere und Schicksale. 227

Von der Freiheit des Denkens und vom Trost der Philosophie. 232

Zwischen Melancholie, Euphorie und letzter Verlassenheit 236

Ein Hirte aus dem Bergland - oder: Von der Freiheit, für seinen Glauben einzustehen. 239

Religiöse Dissidenz – oder: Von der Vision einer freien Kirche in einem freien Land. 241

Vom Hungern und vom Borstenvieh. 247

Păcală – ein Temeswarer Tschibeser 251

Eugen Ionesco und die Meuterei auf der Bounty - oder: Literatur im Gefängnis. 253

Widerstand im Loch - Vom starken Willen, vom gerechten Zorn und von der Würde des Geknechteten  256

Plädoyer für die Freiheit 259

Musik aus der Erinnerung und Hinwendung zum Metaphysischen. 265

Höhlenmelancholie – oder: Vom Ewig Weiblichen. 268

Klartraum mit Alarm.. 275

Eine Filmvorführung mit Überraschungen. 277

Eine merkwürdige Begegnung. 282

Die Partei, die Partei hat immer Recht…... 285

Endlich freier! 288

Elegie – oder: Ein Abschied für immer 293

Ein stiller Gruß auf dem Friedhof - oder: Von der Freiheit zum Tode. 297

 

4. Satz: Fuga – Reaktion. 304

 

Die letzte Reise nach Bukarest - oder: Von der grenzenlosen Freiheit über den Wolken. 304

Frei! Von Frankfurt nach Franken – oder Heimkehr in die Fremde?. 308

Nürnberg – Aus dem Gefängnis ins Lager 313

Rastatt – Freiheit und Revolution. 321

In freiheitlicher Mission – beim Sender Freies Europa in München. 324

In Paris – am Born der Freiheit, bei der Liga für Menschenrechte. 329

Große Geschichte – oder: Der Blick vom Turm.. 332

Ionesco, Cioran und Eliade im Exsilium – oder: Vom großen Irren und vom Schweigen. 335

Pflicht 337

Brot und Wein. 339

CIEL – Ein Europa der Freiheiten und ein Academicien als Mentor 342

Ein Rendezvous mit dem zwangsexilierten Dissidenten Paul Goma. 343

Initiation - Ein Anders-Denkender am Höllentor 350

Rodin – und die Trias als Humanum.. 352

Freiheit , Ethos und Existenz – Von der seltsamen Metamorphose früher Ideale. 354

In London bei Amnesty International 357

On Liberty am Speakers’ Corner. 360

Mit Nyula am Kamin…und an der Tafel 363

Irrungen, Wirrungen und starre Statuten. 367

Humor und Galgenhumor 370

In Berlin - Allein in der Gedenkstätte Plötzensee. Eine Hommage an den deutschen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur. 373

Der Feuervogel 380

Kreuzberger Krawalle – oder: Macht kaputt, was euch kaputt macht 382

Gesichter der Freiheit – Ein Blick über die Mauer 383

An der Freien Universität 385

 

5. Satz: Rhapsodie in Moll…und Dur 390

 

Freiburg. 390

Ost-West-Dialog im Zug nach Genf - 392

Grenzland am Rhein. 397

Frankreich! 399

Felix Helvetia. 400

Unter Basilisken - Reminiszenzen. 404

Idylle. 408

Der große Diktator. 410

Vor Lausanne: Ion Caraion - Stimme der Freiheit und nationales Gewissen? Eine Apologie! 411

Der Wahlverwandte. 414

Januskopf und Chamäleon oder Opfer des langen Arms der Revolution?. 417

Existenz und Ethos – Haltung und Botschaft 421

Freiheit! 424

Die Jagd auf den toten Dichter – und moralische Entrüstung. 425

Das Stockholm-Syndrom und ein Pakt mit dem Teufel?. 427

Gegen das Vergessen. 428

Die UNO-Klage. Eine völkerrechtliche Disputation - oder: Von der Freiheit der Lüge. 431

Ein Signal – Bilanz, Wertung und Konsequenzen der UNO-Klage aus heutiger Sicht 437

Freiheit und künstlerische Selbstbehauptung bei Ana Blandiana und Doina Cornea - kurzer Abriss vorrevolutionärer Opposition. 439

Intellektuelle Distanzierung – Tudoran und Tismăneanu. 441

Der Tod geht um – Marin Preda, prominentestes Opfer?. 443

Der Mord an Gheorghe Ursu. 444

Die Weiße Rose von Bukarest – individuelle und kollektive Protestaktionen. 445

Die Revolution frisst ihre Kinder – Vom Sturz des letzten Diktators in Europa und vom Ende einer Epoche  446

Der Lotse geht von Bord…und die Ratten folgen – Deja- vu?. 451

Über den Zinnen von New York. 454

 

Epilog: Quo vadis, Romania?. 457

 

Im Rausch der Freiheit – oder: Rumänien nach der Revolution von 1989. 457

Zeitkritik - die Umbruchsituation aus der Sicht des engagierten Poeten Mircea Dinescu. 458

Die Proklamation von Temeschburg – Paradigma demokratischer Neuorientierung. 462

Rumäniens schwierige Rückkehr nach Europa – zum Status quo heute. 465

Dissidenten-Schicksale nach dem Umschwung. 465

Vergangenheitsaufarbeitung, Vergangenheitsbewältigung und die obskure CNSAS. 467

Vom Sturz der Ikonen – Fakten oder Desinformation und Manipulation?. 469

Ein neuer Anfang - Rumäniens Ankunft in Europa? Oder: Von der Verurteilung des Kommunismus als ungesetzlicher und verbrecherischer Weltanschauung. 471

Demagogie, Hetze und offener Antisemitismus heute. 474

Absetzung und Kritik aus dem Ausland – Ein Glaubwürdigkeitsproblem?. 478

Unzulänglichkeiten und Diskrepanzen. 481

Die Wahrheit wird euch frei machen. 485

Symphonia. 487

 

 

Carl Gibson  

Gegen den Strom - Deutsche Identität und Exodus

 

Erinnerungen aus Temeschburg und dem Banat

in autobiographischen Skizzen, Reflexionen und Essays

 

 

Motto:

Ecce Homo

 

Ja, ich weiß, woher ich stamme!

Ungesättigt gleich der Flamme,

glühe und verzehr ich mich.

 

Licht wird alles, was ich fasse,

Kohle alles, was ich lasse,

Flamme bin ich sicherlich.

                 Friedrich Nietzsche

 

 

 

Präludium: Ein Fisch im Wasser 5

 

Im dunklen Drang. 5

Stadtluft macht frei – oder: In der Freistadt Temeschburg geboren. 6

Im Heidedorf Sackelhausen daheim - oder: Viele Identitäten und ein Selbst 7

Jenseits von Sodom, im Garten Eden. 16

Die Freiheit der Kindheit und die Entdeckung der Welt – oder: Niederungen und Höhen. 17

Im Milieu der Anderen – oder: Die Freiheit der Zigeuner, ihre Sprache, ihre Musik und Tanz  23

 

1. Satz: Der Erde treu – oder: Zurück, zum Ursprung. 51

 

Banat –  Prosperität in kritischer Zeit zwischen den Weltkriegen. 51

Von Freidorf aus in die Unfreiheit – Die Verschleppung Volksdeutscher in die Sowjetunion. 54

Verbannt in die Wüste – Stalinistischer Revanchismus im Baragan. 58

Bedrohte Freiheit. Das Trauma von 1968 - oder: Die Russen kommen! 60

Deutsche Geschichte – Begrenzung oder Stimulans der Freiheit?. 67

Ethos und Humanität - zwischen Leitsatz und Vorurteil 71

Herr So ist das – oder: Menschen vor der Haustür 72

Der Pictor - ein freigeistiger Maler in kunstfeindlichem Umfeld. 81

Aufforderung zum Tanz – oder: Vom Reigen und vom Contredance. 85

Ethnische Selbstbehauptung und Identitätswahrung. 91

Bildung ist Freiheit - und Wissen ist Macht. Vom Ritus des Lesens. 95

Unter dem Rad – Zwischen Hochdeutsch und schwäbischer Mundart 100

Ein Liebling der Götter – oder: Von der Freiheit realsozialistischer Pädagogik. 104

Vom Tuten und Blasen - und vom Singen. 110

Der Homo novus des Sozialismus – oder: Der unfreie Mensch. 114

Geh zu Hitler - der böse Deutsche in Ideologie und Alltag. 117

Lernt! Lernt! Lernt! Vom Schüler zum Fabrikarbeiter 120

Ein Spiel mit dem Feuer 126

Die Symbolkraft der Farben – oder: Zwischen Nationalismus und Internationalismus. 130

 

2. Satz: Das Kreuz und die Rose – oder: Allein in der Revolte. 137

 

ICHTYS – oder: Vom religiösen Widerstand und von der Solidarität der Verfolgten. 138

Im Zeichen des Kreuzes - oder: Provokationen vom Deutschen Orden zu Bismarck. 145

Nichts wie weg! 155

Unendlicher Bolero – Reise nach Bukarest 156

Kleine Schritte…... 162

Stalins Schattenriss – oder: Vom großen Terror der Diktatur 171

Auftakt mit einer Bestie. 179

Ein Mohr im Loch. 188

Zuckerbrot und Peitsche – oder: Vom Wesen der Securitate. 190

Bafta! Von der weißen Magie schwarzer Leute – oder: Von der Freiheit des Okkulten. 196

Ein Anflug von Freiheit 199

Freiheit oder Anarchie?. 201

Ideale und Idole der Freiheit – Beethoven  und Schiller 204

Beben und Erschütterungen. 209

Ein langer Tag – Zwischen Dom und Kathedrale. 212

Unter Rosen. 215

Am Schwarzen Meer – Einübung in die Ars amatoria. 221

Holzkreuze im Wind. 223

Himmel und Hölle. 225

Mit Ovid in Tomis. 228

In der Bastei. Signale der Freiheit - oder: Es gärt im Land. 232

 

3. Satz: Am Scheideweg – Kampf oder Kompromiss?. 239

 

Auf der Suche nach einer geistigen Heimat – oder: Der Poet um die Ecke. 239

Im Umfeld der Aktionsgruppe Banat 243

Verfolgung – totalitäre Linke gegen linke Demokraten. 245

Symbole ostdeutschen Widerstands – Wolf Biermann und Robert Havemann. 247

Club der Chamäleons – Einblick in den Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis. 252

Kunst zwischen Kompromiss und Schizophrenie. 254

Gebt Gedankenfreiheit – oder: Von der unfreien Presse im real existierenden Sozialismus. 255

Nikolaus Berwanger – Biedermann oder geistiger Brandstifter und aktiver Kollaborateur?. 257

Ein poetisches Debüt 263

Das Scheinen der Scheinwelt – oder: Inszenierte Dichterlügen. 267

Die falsche Metapher –  Siebenbürger Autoren auf dem Weg zum Schafott 271

Solidarität und Moral im Fall Totok - Zwischen geistiger Opposition und loyaler Kritik?. 273

Gehalt und Gestalt – und ein Hauch Polemik. 279

Brecht und Celan – oder: Vom Realismus zum Surrealismus und zur Hermetik. 281

Von Sinn und Form und Unsinn. 285

Aus dem Tagebuch eines Kritikers – Von der Freiheit, mit dem Hammer zu dichten. 287

Le Grand Macabre als neue Ästhetik des Schrecklichen. 289

Vom aufgegebenen Ethos und vom Frust der Unverstandenen. 291

 

4. Satz: Feuer und Asche. 293

 

Das Refugium auf dem Land - oder: Schöpferische Freiheit in freiwilliger Abgeschiedenheit 293

Ein melancholisches Dreigestirn und befreiende Musik – Lenau, Heine, Nietzsche und: Mozart 299

Einsamkeit und Freiheit – oder: Vom künstlerischen Schaffen im Untergrund. 304

Durch diese Straße muss er kommen! Ceauşescu streift Sackelhausen – Ein Déja-vu-Erlebnis  308

Heim ins Reich - oder: Der Kanzler als Katalysator des Exodus. 322

Warten auf …den Pass – oder: In den Vorhallen des Orakels. 326

Von der Freiheit der Verweigerung. 329

Gebeugte Häupter bleiben vom Schwert verschont – also duckt euch! 333

Die Loreley am Pontus und eine unheiligen Madonna. 339

In Angst und Verzweiflung- oder: Ein gescheiterter Fluchtversuch an der Donau. 344

 

5. Satz: Nachklänge der Freiheit - Vom Ideal zur Wirklichkeit 358

 

Das Jekyll & Hyde-Syndrom - Schizophrenie zwischen Identitätsfindung und Identitätsverleugnung  358

Paradies mit Tücken - Meersburg  am Bodensee. 359

Rottweil – Lieber rot als tot 367

Verlorene Illusionen – oder: Von Opfern der Freiheit 370

Kurzes Wiedersehen bei Felix in Dortmund – oder: Ein verfrühtes Requiem.. 374

Deutsche Identität und Verkehrte Welten - oder: Von der Freiheit, betroffen zu sein. 381

Vom Ungeist des Hasses und von der Macht des Ressentiments. 389

Die Wahrheit wird euch frei machen – oder: Von Wahrheit und Freiheit im Rondo. 392

Dissidenz oder Mythos: Im Fadenkreuz der Securitate - Schikanierte Schriftsteller deutscher Zunge bekennen Farbe. 397

Zum Tod eines Dichters. 400

Loyale Kritik und Empörung? Oder: Ein vielsagender Brief 402

Intellektuelle Redlichkeit oder ideologisch motivierte Hetze? Zum Feindbild der Herta Müller 408

Ein Dolchstoß?. 410

Von der Rückseite des Mondes – oder: Eine verhängnisvolle Rezension. 414

Ob Dichter lügen? Von Gesetzen der Perspektive und folgerichtigen Schlüssen. 416

Das Banat – Hölle auf Erden, Locus terribilis, von Hass erfüllt und von Rückständigkeit geprägt 417

Cui bono? Subjektive Literaturrezeption – Hetze oder Spaltung?. 418

Tabubruch oder Blasphemie?. 421

Freie Dichtung oder Wahrheit?. 423

Satire oder Beleidigung und Stigmatisierung?. 425

Werke der Freiheit und Phänomenologien der Freiheit – Bei Heideggers Erben in Würzburg  431

Gaya scienza im Elfenbeinturm mit Theo und Freunden. 437

Kreuz und Rose – und die Schlange, die sich in den Schwanz beißt 441

Phönix. 443

Bad Mergentheim oder Lawrence, Missouri? Ein neuer Anfang in der Neuen Welt?. 445

Michael Gorbatschow – oder: Vom späten Triumph der Freiheit 451

Warten auf…den Retter! 452

Die Matroschka – Sowjetische Geschichte im Zeitraffer 455

Wer zu Späth kommt, den bestraft kein Leben! 458

Sprache der Herzen. 459

Freiheit schöner Götterfunken. 462

 

Nachwort: 465

Weshalb schreibt ein Freigeist eine Symphonie?. 465

Gedanken zur Konzeption und Genese eines politischen Buches in künstlerischer Form mit der Gebrauchsanleitung: How to Read. 465

 

Leseprobe: Auszug aus: Symphonie der Freiheit

Die Fontänen von Genf - oder: Im Zweifel für die Freiheit  

 

Am Spätnachmittag, nachdem der Bericht vorerst beendet war, nutzte ich dann die verbliebenen zeitlichen Freiräume, um Genf zu erwandern. Schließlich wollte ich mehr von der Stadt sehen, die mich so sehr an Bukarest erinnerte, von der schönen Stadt am See, wo zwei so unterschiedliche Charaktere wie Jean-Jacques Rousseau und Francois-Marie Arouet, weltbekannt geworden als Voltaire, jeweils auf ihre Weise die geistige Schlacht für die Freiheit geschlagen hatten. Ungeachtet des scharfen Kontrastes schätzte ich beide – und beide Idealisten schenkten mir viel.

Calvin, der strenge Determinist, der die gleiche Freiheit nur begrenzt, ja in Fesseln gelegt hatte, indem er dem Menschen die Vorzüge absprach, einen freien Willen zu besitzen, für Freiheit einzutreten und sie umzusetzen, interessierte mich weniger. Irgendwo in der Altstadt hatten ihm seine Anhänger ein Denkmal gesetzt. Doch in meinen Augen war der puritanische Reformator eher ein Despot, ein radikalisierter Savonarola, der den Menschen nur als Werkzeug Gottes sah, im Prinzip nicht viel anders als die Atheisten der Neuzeit nach der Oktoberrevolution, als die ideologisierten Marxisten im Ostblock mit ihrer ebenfalls deterministischen Vorstellung, der Mensch sei eigentlich unfrei; er agiere und reagiere nicht anders als über den konditionierten Reflex – gleich einem Hund, dem man den abgenagten Knochen zuwirft oder wie ein Tanzbär, dem mit glühenden Eisen die einzelnen Dressurbefehle eingeätzt wurden, um sie später auf Kommando wieder abzurufen: Der Mensch als Tanzbär mit einem Ring in der Nase, an welchem ein dogmatischer Ideologe zieht! Welch eine Vorstellung!

Zunächst konzentrierte ich mich auf das moderne Genf, in dessen Mitte ich mich gerade befand, bevor ich mich den Strukturen der Altstadt mit ihrer wechselvollen Geschichte zuwandte. Auch das neue Genf hatte seinen Reiz. Vieles, was ich von fern aus dem vorbeifahrenden Auto gesehen hatte, konnte ich jetzt genauer betrachten und geistig vertiefen. Als ich am Palais des Nations vorbei kam, spürte ich Lust, wieder hinein zu gehen, um vielleicht doch noch an die Tür des Hochkommissars für Flüchtlinge zu klopfen. Möglicherweise konnte er doch mehr für die zurückgebliebenen Verfolgten bewirken als die Hilfsorganisation amnesty international, die mich in London so sehr enttäuscht hatte. Doch bald verdrängte ich den Gedanken wieder, da mir ein klares Konzept für weitere Bemühungen fehlte, und promenierte weiter zum Seeufer hin.

Hier irgendwo, nicht weit von der Uferpromenade, war Sissi erdolcht worden, die melancholische Kaiserin von Österreich, die oft und gern hierher gereist war, bevor sich ihr Schicksal vollendete. Während ich in die Weite des stillen Sees hinaussah, blieb mein Blick an dem künstlichen Wasserstrahl hängen, der die gesamte Kulisse bestimmte, an dem mächtigen Jet d’ Eau am Pier, der, einem Geysir gleich, gewaltig in das Blau des Himmel schoss – ein Sinnbild für etwas, was zu höheren Sphären strebt, für die Hoffnung vielleicht, oder die Freiheit… -  ein schönes Schauspiel.

Am Ufer angekommen vergaß ich die Menschen um mich herum und gab mich, die Augen immer noch in die Ferne gerichtet, der stillen Betrachtung hin. Vom Genius des Ortes ergriffen, sah ich eine Weile auf den See hinaus, in dessen ruhenden Fluten sich die Sonne spiegelte. Ein Meer von Silber breitete sich aus, eine Welt von Licht. Wie ein Landschaftsmaler in harmonischer Natur, saß ich inmitten eines Stilllebens – nunc stans, großer Mittag auch für mich.

Die Sonne stand hoch im Zenith! Was war mit mir. Stieg mein Stern noch oder fiel er bereits? Eine Art mystische Entrückung kam auf und eine sonderbare Sehnsucht nach einem Aufgehen im Ewigen.

Die weißen Fähren und die vielen kleinen festgemachten Boote im Hafen verwiesen auf die Unendlichkeit eines fernen Ozeans, wohin das Wasser seine Zuflucht nahm. Hinter mir türmten sich, schweigsam in Schatten gehüllt, die Alpen auf. Die Rhone kam durch ein breites Tal herab, walzte sich ihre Bahn und floss unmerklich an mir vorbei durch den See, quer durch das Juragebirge, bis hinab in ein ausgedehntes, seichtes Delta am Mittelmeer. Das Dahinfließen dieses drittgrößten europäischen Stromes, an dessen Gletscherquelle ich später einmal stehen sollte, faszinierte mich noch mehr als die unergründliche Tiefe des Alpensees. Schließlich war ich doch ein Fisch, ein Freund der Elemente, der schon mehrfach dem Lauf dieses Stromes bis zur Mündung gefolgt war, bis in die Provence und nach Arles hin, in die alte Römerstadt, wo Vincent malte, und darüber hinaus bis zum stillen Ergießen in der sumpfigen Camargue. Ja, ich war ein Fisch im Wasser, der die Geborgenheit der Tiefe suchte - und gleichzeitig die Unruhe des gegen den Strom Schwimmens!

Konnte man als Fisch auch mit dem Strom schwimmen? Auch in der Donau? Um dann irgendwann im fernen Rumänien ein anders Delta zu erleben - und, nach langer Reise, im großen Ozean der unendlichen Freiheit aufzugehen? Sonderbare Gedanken, an den bevorstehenden Aufgaben entzündet, zwischen Vergangenheit und Zukunft oszillierend, mischten sich in die Reflexion und beendeten die abschweifende Träumerei. Die Harmonien im Innenohr verklangen.

Den Abend verbrachte ich mit Ion und anderen im Genfer Exil lebenden Rumänen im Haus eines politisch Interessierten, der zum Essen geladen hatte. Zunächst wurde getafelt. Ganz der schweizerischen Küche entsprechend, die ich bereits in Zürich schätzen gelernt hatte, solide mit mehreren Gängen, auf beachtlichem Niveau. Der französische Einfluss war nicht zu verkennen. Es gab Jakobsmuscheln mit Chablis, Filetspitzen á la Stroganoff mit einem Tropfen aus Chateauneuf du Pape und überbackenen Ziegenkäse als Dessert. Anschließend gingen wir bei Cognac und Zigarren zu Gesprächen über.

In der Männerrunde wurde viel diskutiert - mit romanischer Leidenschaft. Man sprach zunächst recht allgemein über politische und makropolitische Entwicklungen und über die Möglichkeiten, wieder demokratische Strukturen in den Staaten des Ostblocks durchzusetzen. Die Solidarnosc-Bewegung hatte neue Hoffnungen geweckt. Der Grundton blieb trotzdem skeptisch, denn aus Rumänien kamen keine erfreulichen Nachrichten. Und auch die humanitären Bestrebungen der Charta 77 unter Vaclav Havel, dem späteren Präsidenten Tschechiens, und anderen ehemaligen Dissidenten wie Cestimir Suchy, dem Fensterputzer, waren im Sand verlaufen. Was aus der vor unseren Augen abrollenden revolutionären Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc in Polen unter Arbeiterführer Lech Walesa noch werden sollte, war ebenso ungewiss. Doch die baldige Verhängung des Kriegsrechts erwartete keiner.

Während die von uns gebildete Abordnung der Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger im Westen inzwischen alle Hebel in Bewegung setzte, um über die ILO das Regime Ceauşescus formaljuristisch wie moralisch zur Rechenschaft zu ziehen und zur Raison zu rufen, war General Jaruzelski in Polen bereits im Begriff, die Verhängung des Kriegsrecht vorzubereiten und die Arbeiterbewegung, der inzwischen zehn Millionen Polen angehörten, zu verbieten und damit endgültig abzuwürgen.

Parallel zu den Klageaktivitäten hatte ich als designierter SLOMR- Sprecher ein Solidarisierungsschreiben an die Solidarität unter Walesa aufgesetzt, in dem ich den rebellierenden Werktätigen Polens ihm Namen unserer inzwischen unterdrückten freien Gewerkschaftsbewegung mehr Erfolg wünschte, als uns beschieden war, und diesen Brief der Post anvertraut. Den Rückschein des Einschreibens durfte ich leider nie in den Händen halten. Vermutlich ging er in den Notstandsmaßnahmen unter, die einige Monate darauf von den Militärs über Polen verhängt worden waren.

 

Schönheit und Vergänglichkeit

 

Am nächsten Morgen nahm ich mir etwas Zeit und frühstückte gemächlich in einem Straßencafé. Es gab Café au lait mit einem Buttercroissant, ganz so, wie ich es aus Frankreich kannte. Nach diesem klassischen Morgenauftakt, der eher Appetit erzeugt, als den Hunger zu stillen, begab ich mich in die City von Genf und durchstreifte vergnügt ihre Gassen.

Genf war nicht viel größer als Freiburg, mein späterer Studienort, nur vornehmer strukturiert und auf das Weltgeschehen ausgerichtet – eine Metropole in Kleinformat. Nachdem ich einiges von den Sehenswürdigkeiten der Innenstadt gesehen hatte, wollte ich wieder weg von der Zivilisation, von der lauten Hektik der Stadt mit ihren geschäftigen Menschen. Als Herr meiner Zeit und meiner Entscheidungen zog es mich zurück in die Natur, ins Grüne, in eine jener dort häufig anzutreffenden, kleinen Parkanlagen, um für ein halbes Stündchen zu rasten.

Ein Farbenmeer breitete sich vor mir aus und manche mir fremde Blume als Kontrast zum satten Grün des Rasens im Hintergrund, und dahinter, alles überlagernd, eine geordnete Welt von Rosen. Von den vielen Tausend Hybriden, die weltweit existierten, manche in England, im Land meiner Vorväter kultiviert, waren einige auch hier vertreten – weiße und rote Rosen, die mich an die Rosen im Elternhaus und an den Rosengarten in Temeschburg erinnerten. Mit der Erinnerung schlichen sich auch alte Stimmungen ein, Reminiszenzen der Wehmut und der Sehnsucht, die mir bewusst machten, dass ich eigentlich ein Exilierter war, ein Odysseus auf Wanderschaft, fern der Heimat und längst nicht auf Rosen gebettet; dafür aber in einer fremden Stadt – ubi bene, ibi patria? War das so? Die Stadt war schön. Doch daheim war ich nicht, auch nicht als Weltbürger, als Kosmopolit.

In die Betrachtung der Rosen vertieft, aus denen Leben und Liebe, Schönheit und Reinheit sprechen, verfiel ich für Augenblicke der Abstraktion, sah über den Reiz der Farben hinweg, über die Pracht der Vielfalt, über den Wechsel der Gestalt und über die Verlockungen des Duftes, der sich über den Pflanzen verbreitete und eine eigene Atmosphäre schuf. Sehen konnte ich nur die eine Rose. Und in ihr – wie einst Platon - die Idee des Schönen, die ich kaum losgelöst von Natur und Poesie erfassen wollte. In der Rose, die auch Stacheln hatte, war alle Schönheit in sublimster Form vereint. Musik aus der Erinnerung erklang in meinem Ohr - eine alte Weise, wehmütig gesungen wie aus der Kehle eines Troubadours…A rose will bloom…und dann folgte ein neue Melodie aus dem gerade erst gedrehten Spielfilm Die Rose, deren lebensphilosophischer Text mich tief berührt hatte. Der Ohrwurm nahm mich gefangen und führte auf die Pfade romantischer Dichtung zu Lenau hin und zu den Sonetten Platens, wo viel über Schönheit und Sterben nachsinniert wird: Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, Ist dem Tode schon anheim gegeben, Wird für keinen Dienst auf Erden taugen, Und doch wird er vor dem Tode beben, Wer die Schönheit angeschaut mit Augen! Der Feingeist August Graf von Platen, von Heine verspottet und als Homoerotiker denunziert und stigmatisiert, hatte die Verse wohl in Italien gedichtet, möglicherweise in den Gärten der Medici? Zweitausend Jahre nach Platons Gedankengängen. Unter Michelangelos Plastiken und Leonardos Gemälde vielleicht, an der Quelle des Schönen?

Hier in Genf wirkten sie fort und riefen auch im meinem Bewusstsein vieles von dem wach, was das wahre Menschsein ausmacht. Neben der Ethik ist es vor allem der weite Bereich des Ästhetischen in allen Formen der Kunst. Die Rose vor meinem geistigen Auge verwies darauf.

Als ich so selbstvergessen dahinschlenderte, wie das lyrische Ich in einem Goetheschen Blümleingedicht, ohne Sinn und Zweck, schossen mir die unterschiedlichsten Gedanken durch die Gehirnwindungen. Weshalb verharrst du nicht im Schönen, im Reich der Künste, fragte ich mich. Was zieht dich sensiblen Geist in die Niederungen der Politik?

War sie ein Irrweg oder ein Notwendigkeit, eine Pflicht? Und durfte ich mich ihr aus egoistischen Antrieben einfach entziehen? Wo begannen Bürgerpflicht und Weltbürgerpflicht? Und wo endete die Verantwortung für Umwelt und Welt?

In der Nähe eines Springbrunnens entdeckte ich eine freie Bank, ging darauf zu und setzte mich nieder. Wieder kam die Poesie zurück. Der Kopf war voll davon – wie bei den frühen Dadaisten, bei Tzara – le tête pleine de poésie – und bei den eruptiven Expressionisten der Jahrhundertwende, wie bei Aragon, Picasso, Cocteau und bei Paul Eluard, der ein Gedicht auf die Freiheit gemacht hatte, ein berühmtes Gedicht! In der Gefängniszelle war es mir immer wieder durch den Kopf geschossen…Liberté… J’ecris ton nom…

Die ganze Welt war eigentlich eine Welt der Poesie. Gleiche Beobachtungen führen nicht nur zu ähnlichen logischen Schlüssen, sondern auch zu tiefen Empfindungen bis hinein ins Symbolische, ja selbst ins Archetypische und Mythische; zum Heiligen und wieder zurück in die Welt des Profanen. Alles war ein Geben und ein Nehmen, ein Spenden und ein Schenken aus der Überfülle heraus.

Das Auf und Ab der Fontänen führte fast zwanghaft zu Conrad Ferdinand Meyer, zu jenem hochdepressiven Ästheten aus der Familie der Melancholiker, der dem Geist der Renaissance so nah auf der Spur war wie sein schweizerischer Landsmann Jakob Burckhardt; dann unweigerlich zu dem reisenden Poeten Rilke. Beide, Meyer und Rilke, hatten den Brunnen besungen und mein Element – das Wasser, das strömt und schwindet, aus dem alles emporsteigt und vergeht.

Das Geben und Spenden ihrer Brunnen, Quellen und Fontänen drang rauschend in mein Ohr und deutete auf den ewigen Kreislauf des Wassers hin als ein ergreifendes Sinnbild des Werdens und Vergehens alles Zeitlichen.

Um mich – ein Meer der Farben; der Locus amoenus des Ufers noch einmal als freudige Wiederkunft des Gleichen. Nietzsche saß vielleicht auch einmal hier auf seiner Wanderschaft durch die Schweiz, neben Meyer und Burckhardt und Rilke, bevor es sie alle nach Florenz zog in andere Gärten und zu anderen Fontänen?

Die Farbenwelt der Impressionisten und Expressionisten vermischte sich. Das Grün in allen Nuancen, vom milden Lindengrün bis ins fetter grünende Olivgrün der mediterranen Welt, durchdrang sich mit dem vielfältigen Blau des Wassers, das Licht einfing und anderes Licht preisgab in allen Variationen des Regenbogens.

Das Wechselspiel faszinierte als ewige Wiederkehr, aber auch als ein Fingerzeig der Gottheit auf die Vergänglichkeit aller Dinge, die jedem Neuwerden vorausgeht. Die verborgene Künstlerseele erbebte.

Dabei steigerte sich die sanfte Wehmut unmerklich zu ernster Melancholie. Resignative Gedanken schlichen sich ein in die Welt der Schönheit, der immer auch die Vergänglichkeit innewohnt. Dass alles Schöne muss vergehen/ und auch das Herrlichste verwehen, die Klage stets auf Erden klingt, klagte Lenau im Motto seiner freien Albigenserdichtungen, die vom Niedergang der blühenden Provence künden. Gerne folgte ich ihm. Wer sich in eine Stimmung begibt, wird ihr Opfer und verfällt ihr. Doch mein Anflug von Trauer hatte diesmal auch andere Gründe.

 

Erzengel Michael und Die Protokolle der Weisen des Zion

 

Nicht alles, was ich am Vorabend hören musste, hatte mich begeistert. Eine Exilgesellschaft ist pluralistisch und bunt. Sie wird von verschiedensten Individuen getragen, die charakterlich sehr unterschiedlich sein können. Dementsprechend divergieren auch ihre politischen Ansichten, Meinungen und Überzeugungen. In der Runde hatte ich manches Gescheite vernommen; aber auch viel Rückwärtsgewandtes, Zynisches, ja selbst Antisemitisches war zu meinen Ohren gedrungen. Dabei merkte ich wieder, wie schwer es eigentlich war, Menschen für eine bestimmte Idee zu begeistern und hinter eine Sache zu scharen. Jeder bringt sich mit ein in eine solche Runde, so wie er ist. La Bruyère wusste davon und La Rochefoucauld.

Es war viel über die jüngste Geschichte gesprochen worden, über König Michael, der sich zeitweise hier im Genfer Exil selbst als Börsenmakler über Wasser halten musste, und über Staatschef Antonescu, der seinerzeit autokratisch, ja diktatorisch regiert hatte; der, um Hitler zu gefallen, die vier Jahre währende Allianz der rumänischen Truppen mit der Wehrmacht herbeigeführt hatte.

Inzwischen ist er zur Hälfte rehabilitiert worden – und König Michael lebt auch wieder in Bukarest, als Privatmann.

Einige aus der Runde verehrten Marschall Antonescu über den Weltkrieg hinaus und sahen in ihm schon damals einen wahrhaftigen Patrioten, einen Befreier des Vaterlandes, der aus dem Antrieb handelte, Rumänien in einem Präventivschlag gegen den Sowjetimperialismus zu schützen.

Am Vorabend war auch über den Umsturz nach der Entlassung Antonescus durch den König gesprochen worden; über den so genannten königlichen Putsch; über Ereignisse, die heute schon wieder heroisiert werden. Auch über den damit zusammenhängenden Abfall Rumäniens vom Deutschen Reich; über die Machtergreifung der Kommunisten und Stalinisten - somit über historische Begebenheiten von besonderer Tragweite, die ich in meiner Jugend weitgehend nur aus der willkürlich verfälschten Perspektive marxistischer Geschichtsinterpretation kannte.

Nach den wechselvollen Eindrücken am Vorabend fühlte ich mich nun kaum in der Lage, die Materie kritisch zu bewerten. Gleichzeitig stiegen destruktive Gedanken in mir hoch. Von bestimmten Positionen einzelner Gesprächsteilnehmer relativ enttäuscht fragte ich mich, ob die am Vortag erlebten Menschen überhaupt zuverlässig und integer waren; oder ob sie nicht gar obskuren Tätigkeiten nachgingen.

Einige der bürgerlich wirkenden Teilnehmer erschienen mir weltanschaulich ultrakonservativ und stark rechtslastig. Gelegentlich hatte ich den Eindruck gewonnen, gerade die Biedermänner aus dem Kreis stünden der faschistisch ausgerichteten Eisernen Garde von Câpitan Codreanu immer noch geistig nahe. Die schon tot geglaubte Legion des Erzengels Michael war also noch am Leben und quicklebendig? Die Faschistenorganisation, ein ultraradikaler, religiös motivierter und rassistischer Zusammenschluss, dem Ku-Klux-Klan nicht unähnlich, fühlte sich wohl immer noch berufen, den Griff zur Weltherrschaft durch angebliche Zionisten verhindern zu müssen?

Ein Mitgefangener, der die faschistische Diktatur in Rumänien nach der Abdankung König Karls noch selbst erlebte, hatte mir einiges aus jener Zeit geschildert. Mit schwacher Stimme hatte er mir die Hymne ins Ohr gesungen, die Codreanu gewidmet war, dem Capitan und die seinerzeit von Pfadfindern und Schülern gesungen werden musste.

Auch Ion Caraion, der expressionistische Dichter und Essayist, der seit einiger Zeit ein Steinwurf weiter, in Lausanne lebte, hatte mir von den Braunen berichtet und davon, wie er als Linksintellektueller von diesem Leuten gejagt und als Sympathisant der Kommunisten auf eine Todesliste gesetzt worden war. Und jetzt?

Einer der Teilnehmer, ein dürres Männchen mit Hakennase, öltriefendem schwarzem Haar und einem schmalen Oberlippenbärtchen, eine Gestalt mit einer Physiognomie, die an einen sizilianischen Gangster erinnerte, war am Vorabend an mich heran getreten und hatte mir geheimnistuerisch ein paar schlecht gebundene Photokopien in die Hand gedrückt, die er für einen Schatz, ja für eine Offenbarung hielt.

„Liebling“, hatte mir der Schmierige vertrauensvoll zugeflüstert in einer Art, wie ein Verschwörer zum anderen spricht, wenn er ihm ein großes Geheimnis anvertraut:

„Hier habe ich etwas ganz Besonders für dich! Die Protokolle der Weisen von Zion! In französischer Sprache, sub rosa, versteht sich. Es gibt kaum Übersetzungen davon! Auch sind nur wenige Exemplare davon im Umlauf! Studiere diese Schrift mit ganzer Aufmerksamkeit, damit auch dir bewusst wird, wer in der Welt das eigentliche Sagen hat.“

 

Hitlers Paradigma – Antisemitismus und Hetze

 

Etwas konsterniert hatte ich die Texte entgegen genommen und einige oberflächliche Blicke darauf geworfen. Ihr Geist, das war gleich zu erkennen, entsprach etwa den Biertischparolen, die ich so ganz nebenbei in den Diskussionen vernommen hatte. Sprachlos, ohne in der Lage zu sein, irgendeinen Kommentar abzugeben, hatte ich mich dann zurückgezogen. Es war ein Affront – und irgendwo fühlte ich mich brüskiert und missbraucht. So etwas hatte ich nicht erwartet, nicht hier in Genf, an der Schlagader der Freiheit!

Nun saß ich auf einer grün gestrichenen Holzbank und hielt das offensichtliche Machwerk in zittrigen Händen. Was sollte ich damit anfangen? Während des Frühstücks im Cafe hatte ich es nochmals durchgeblättert und weitere Passagen gelesen. Jetzt sah ich noch genauer hin, las erneut und reflektierte… Es war ein offensichtliches Pamphlet gegen Juden, konstruiert und boshaft, das irgendwo im Russland des späten 19. Jahrhunderts von obskuren Gestalten zusammenkompiliert worden war, um den aufkommenden Liberalismus beim Zaren zu diskreditieren. Die Schmähschrift war so verfasst, als hätte der anonyme Autor eine Geheimsitzung führender Rabbiner belauscht. Erregung überkam mich, als ich in den sonderbaren Protokollen, von deren Existenz ich schon früher gerüchteweise gehört hatte, weiter las.

Es war offensichtlich ein Werk gezielter Hetze, das ich in den Fingern hielt. Erstaunt und irritiert zugleich sah ich alles wieder durch, las dies, las jenes, ohne rechte Lust und ohne rechten Zugang. Eine abstruse These jagte die andere, fern von jeder Logik und jeder inneren Schlüssigkeit. Die Zeilen richteten sich eindeutig an einfache Menschen mit einem naiven, unkritischen Bewusstsein, an vorrevolutionäre Parteigänger im zaristischen Russland, die für Weltverschwörungstheorien so zugänglich waren, wie sie an die Macht des Leibhaftigen glaubten. Es war eine Doktrin, gedacht für empfängliche Ohren. Geglaubt werden sollte nur das, was dort zu lesen war, doch nicht durchdacht.

Weshalb sollte nun auch ich den perversen Gedanken krankhafter Gehirne folgen, die für sehr schlichte Gemüter gestrickt waren? Die Fiktionen mit den zahlreichen Unterstellungen dienten eindeutig der Hetze. Das war reinste Hetze! Und dazu noch hier in der neutralen Schweiz, im Herzen der offenen Weltstadt Genf, wo der eine oder andere orthodoxe Chassidim ahnungslos an mir vorüber ging? In der Schweiz fühlten sich die Juden noch sicher. Doch waren sie es wirklich?

Die Schrift, die ich gerade erst aus den Händen biedermännischer Brandstifter erhalten hatte, sprach dagegen. Andere Erschütterungen der Seele kamen auf, jenseits jeder Ästhetik. Hetze, ganz egal gegen wen sie gerichtet ist, ist an sich immer krankhaft und falsch. Sie säht nur Hass und schafft nur Feindschaft.

Trotzdem zwang ich mich dazu, das Pamphlet nicht wegzulegen, sondern noch einiges davon intensiver zu studieren, um klarer zu sehen. Wer kritisch in Mein Kampf las, konnte erahnen, wem er als Wähler in der Person Hitlers zur politischen Macht verhalf. Also las ich mit Verwunderung und Abscheu und mit den Bauchschmerzen, die mir später noch andere Hetzliteratur aus unscheinbarem Umfeld verursachen sollte. Einiges erschien mir enigmatisch konfus und verworren wie die Prophezeiungen des Nostradamus, anderes wirkte nur aufgesetzt plump und schlechthin dumm. Wer wollte diese abstrusen Androhungen von Terror und andere ähnlich Behauptungen für bare Münze nehmen? Wer wollte ihnen Glauben schenken? Leute, die nur zusätzliche Argumente für eigene Rassentheorien suchten, Leute wie Hitler?

Er, der Menschheitsverbrecher, hatte es tatsächlich getan!

Langsam wurde mir bewusst, was ich vor den Augen hatte: einen Klassiker des Antisemitismus! Ein konstruiertes Pamphlet, das direkt zum Antisemiten Hitler führte. Hitler hatte dieses Machwerk nicht nur gekannt, sondern sogar verschlungen, bevor er die dort exponierten Thesen in Mein Kampf auf seine Weise umsetzte. Hitler hielt die Protokolle der Weisen von Zion für authentisch. Er glaubte an eine jüdische Weltverschwörung und an die Essenz der Hetzschrift, alles Übel der Welt komme von den Juden. Der bekannte preußische Historiker Heinrich von Treitschke hatte es bereits auf den Punkt gebracht: Die Juden sind unser Unglück! Und Goebbels und andere Nationalsozialisten hatten es im Geist des Führers global ausgeweitet: Die Juden sind an allem schuld!

Der gesamte abendländische Antisemitismus, vom Gottesmördervorwuf, über den Brunnenvergiftervorwurf bis hin zum weltanschaulichen Vernichtungskrieg im Osten und zur Shoa, erschien mir in diesen wenigen Worten zusammen gefasst. Die alten Parolen der Nationalsozialisten stiegen in mir auf – Hetztiraden, die der Führer selbst und zwei seiner loyalsten Paladine, Goebbels und Himmler, immer wieder in die Welt gesetzt hatten als Zündstoff für einen Weltenbrand, der auf Deutschland und die Deutschen in aller Welt zurückfallen sollte - auch auf mich.

 

Der Antichrist?

 

Kam jetzt wieder alles hoch? Kroch das Böse, die Ankunft des Antichristen  und die herannahende Herrschaft des Teufels auf der Erde, die Sergej Nilus 1905 den Juden angedichtet hatte, wieder aus den Löchern?

Das Menschenverachtende, das Zynische, das offensichtliche Boshafte, das reine Böse? Mir wurde leicht übel, als ich weiter darüber nachdachte. Woher kam dieser unselige Hass des Menschen auf den Menschen? Homo homini lupus statt eines Humanum? Bisher hatte ich nur wenige Juden kennen gelernt – doch das waren liebe, nette, freundliche Menschen. In Temeschburg hatte ich kaum Antisemitisches vernommen, bis auf einige Schimpftiraden, die vor allem im kriminellen Milieu unreflektiert nachgemurmelt wurden. Die Juden fühlten sich wohl in unserer Stadt.

Und sie waren schon vor den Deutschen und den Rumänen dort heimisch. Als Prinz Eugen im Jahr 1716 die Festung Temesvar befreite und – in einem Akt von Menschlichkeit und Gnade - alle Türken abziehen ließ, sie mit Mann und Maus gehen ließ, waren nur einige Serben, Armenier und Juden zurück geblieben - eine Handvoll Juden, aus welchen in nur zweihundert Jahren Zehntausend wurden, bis Ceauşescu sie verkaufte und für ein paar Dollar mehr auch ihren Exodus ins Gelobte Land ermöglichte.

Die Juden hatten sich stets wohl gefühlt in Temeschburg, an jenem kultivierten Ort der Toleranz, bis der Ungeist der Zeit auch ihn erfasste. Ja selbst in der Zeit des Stalinismus, zogen manche aus Tschernowitz, der Bukowina und aus Jassy vertriebene Juden es vor, in Temeschburg zu leben, in einem geistigen Zentrum des Kosmopolitismus, das sprachlich wie kulturell dem Aufgegebenen ähnlich war, in dem aber vor allem eine Atmosphäre der Menschlichkeit herrschte, ein Geist praktizierter Humanität.

Während ich über solche Aspekte nachdachte, stieg erneut wütende Erregung in mir auf und vertrieb die heranschleichende Nostalgie auf einen Schlag. Ein Furor kam auf, der nicht poetischer Art war und nach dem reinigenden Flammenschwert des Erzengels verlangte – oder nach jenem Knüppel aus den Sack aus dem Hausmärchen der Gebrüder Grimm, dessen Zielrichtung Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der deutsche Patriot und Dichter der Nationalhymne, ausweitete: aufs Lumpenpack! Auch cholerisches Feuer kann reinigend wirken - wie der Zorn der Gerechten, dies irae…dies illa. Mozart hatte den alten Aufschrei genial in Musik gesetzt…

 

Katharsis

 

Wutentbrannt nahm ich das boshaft ersonnene Phantasieprodukt und riss es mit Kraft entzwei. Dann alles noch einmal und erneut, bis der Furor erloschen war und ich nur noch einen Haufen schwer rekonstruierbarer Papierschnitzel in der Hand hielt.

Während ich so raste wie ein kleiner Exorzist, der böse Dämonen austreibt, in aufrichtiger Betroffenheit und Enttäuschung über den Menschen, der unfähig ist, aus den Lehren der Geschichte richtige Schlüsse zu ziehen und für sein künftiges Handeln etwas zu lernen, trat eine greise Frau an mich heran. Sie hatte mein ihr unerklärliches Erzürnen von einer nahen Bank aus beobachtet. Leicht verunsichert, doch erfüllt von moralischer Entrüstung, sprach sie mich in feinstem Französisch an:

„Was machen Sie denn da, mein Herr? Vernichten Sie etwa ein Buch?“

Ich blickte auf wie einer, der in Kontemplation versunken, seine Kreise zeichnet und dann gestört wird. Nach einem Augenblick des Bedenkens erwiderte ich trocken, doch nicht unfreundlich:

„Ja, Madame! Dieses hier würde ich am liebsten verbrennen!“

Die Alte, sie hatte bestimmt beide Weltkriege überstanden, stierte mich für Sekunden konsterniert an und verharrte sprachlos. Dann wandte sie sich enttäuscht ab und ging weiter, ohne zu ahnen, dass meine Enttäuschung noch größer war als die ihre. Wie hatte es Heine ausgedrückt: Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen!

Heine dachte vorausschauend, eben weil er historisch dachte und aus der Geschichte die eigentlichen Konsequenzen herleiten konnte. Für Momente hatte ich der bitteren Ironie vertraut, die nicht erfasst worden war. Jetzt lag ein Vorwurf unausgeräumt in der Luft und erinnerte an den Ungeist der Inquisition, der Hexenverbrennungen und an das Wüten der NS-Schergen – doch was sollte ich in dieser Situation tun?

Vor Tagen war ich noch als Idealist angereist, als einer, der etwas bewegen wollte – und nun dies…Die Papierfetzen verteilte ich dann auf mehrere Müllbehälter am Wegrand, so dass der unselige Mist nie wieder zusammengefügt werden konnte, einem korrupten Politiker oder Waffenhändler gleich, der seine zerrissenen Auszüge wegwirft, nachdem er das Guthaben seines Nummernkontos überprüft hat. Gleich fühlte ich mich reiner. Während ich davon schlich, legte sich die Erregung kaum. Die Nachbeben der Wut entluden sich in Niedergeschlagenheit.

 

Sorgen und Gefahr – eine Selbstapologie

 

War alles umsonst? Neue Bedenken kamen auf. War ich nunmehr vom Regen in die Traufe gelangt? Und drohte mir hier womöglich eine andere Instrumentalisierung? Ein Missbrauch durch ewig Gestrige, durch fanatisierte Reaktionäre, durch Sympathisanten der längst erloschen geglaubten Legion des Erzengels Michael?

Der Erzengel mit dem Flammenschwert, welch ein Bild! Der Heros meiner Kindheit! Ein übermächtiges Ölgemälde in unserer Dorfkirche, die ihm geweiht war, erinnerte mich an ihn; an seine ritterliche Erscheinung und an seinen kraftvollen Tritt gegen das Böse, gegen die sich schmerzhaft windende Schlange am Boden. Göttlich edel war er mir damals erschienen, als Verfechter des Guten, als Abgesandter Gottes. Doch weder das Ethos der Ritter, noch göttliche Werte sind vor Missbrauch sicher. Auch seinen Namen hatte man verunreinigt und pervertiert! Zunächst in Russland im Schatten der Orthodoxie! Und dann, wohl unter dem Einfluss radikalisierter Christen aus dem Nachbarland, auch im Rumänien der Zwischenkriegszeit.

Jene obskuren Legionen richteten sich damals gegen Juden, Kommunisten, Andersdenkende und verbreiten Tod, Terror und Verwüstung. Und jetzt waren sie auch hier, im liberalen und toleranten Genf. Eine schreckliche Vorstellung. Gab es in der freien Welt keinen Ort mehr, wo man wirklich sicher sein konnte?

Bei diesen Überlegungen fühlte ich mich nicht mehr ganz wohl in meiner Haut. Mir wurde urplötzlich wieder bewusst, dass ich mich exponiert in einer fremden Stadt befand; dass ich mich, von besten Absichten geleitet, doch Menschen ausgeliefert hatte, die ich nicht einmal richtig kannte und deren weltanschauliche Überzeugungen mir teilweise sehr suspekt waren. Dann gedachte ich wieder der Drohungen der Sicherheitskräfte vor meiner Ausreise, an die Einschüchterungen der Securitate und an die versuchten Briefbombenattentate, denen andere Oppositionelle ausgesetzt waren. Die Gefahr reiste mit und das Bewusstseim, selbst in absoluter Freiheit, doch nicht gänzlich entscheidungsfrei zu sein.

 

Auf dem Weg nach Genf war ich zwar von Freiburg aus gestartet, kam aber eigentlich aus Rottweil, wo ich damals lebte. Rottweil an Neckar ist eine kleine, sehr alte Stadt am Neckar. Die älteste im Ländle. Von der Anwesenheit der Römer kündigt eine Badruine. Rottweil, von den Staufern ausgebaut, war lange Zeit eine bedeutende Stadt, eine Freie Reichsstadt, politisch der Schweizer Eidgenossenschaft verbunden.

Der Bund mit der Schweiz aus dem Jahr 1511, der formell nie aufgelöst wurde, besteht auch heute noch. Eine Kuriosität, hinter der sich freiheitliche Bestrebungen verbergen, die erst durch den Einmarsch der Württemberger im Jahr 1802 ein vorläufiges Ende fanden. Wenn die Rottweiler Narren nicht gerade auf dem Sprung sind, lebt es sich in der schwäbischen Kleinstadt recht ruhig, vergnügt und angenehm.

Dort logierte ich ein gutes Jahr lang möbliert und gleichzeitig hochgradig exponiert. Denn es war die Zeit, als der bulgarische Geheimdienst im Westen unterwegs war, um den Feinden des Sozialismus im Exil etwa mit heimtückisch präparierten Regenschirmen zu Leibe zu rücken. Das eingesetzte Rizinus-Gift wirkte sofort und führte einen schnellen, nur schwer diagnostizierbaren Tod herbei.

Der rumänische Staatssicherheitsdienst, die nicht weniger berüchtigte Geheimpolizei Securitate, hatte sich damals auf Briefbomben spezialisiert und einige davon an den befreundeten Schriftsteller Paul Goma in Paris adressiert. Es war damals beschlossene Sache, Goma ebenso zu liquidieren wie den kommunismuskritischen Autor Virgil Tănase, der aus dem skandinavischen Exil opponierte.

Ob auch ich auf der Liste stand? Wenn ja, an welcher Stelle? Falls es bald zur UNO-Klage kam, dann gefährdete ich das liberale Image des großen Führers Ceauşescu und die Scheinwelt seines Systems!

Goma und Tănase haben überlebt. Andere Stimmen des Exils wie Emil Georgescu, der beim Sender Freies Europa die viel gehörte Sendung Rumänische Aktualität moderierte, aber auch leidenschaftlich hetzte, war sadistisch niedergemetzelt worden.

Und selbst Damen wie Monica Lovinescu, deren Domäne die Literaturinterpretation und Kulturvermittlung über den Äther war, wurde Opfer kommunistischer Kommandos; namentlich von rüden Securitate-Agenten im Auslandseinsatz, die sich nicht scheuten, selbst auf eine wehrlose Frau einzuschlagen, sie zu beschimpfen und zu bedrohen. Diese mit krimineller Mission in den Westen entlassenen Killertrupps agierten nicht viel anders als die verbrecherischen Todesschwadronen in Zentralamerika.

Die Mittel der Diktaturen, Gegner auszuschalten, waren überall die gleichen. In Spanien und Portugal, in Argentinien und Chile. Zufällig hatte ich Isabel Allendes Geisterhaus gelesen, die mumifizierten Leichen aus der Atacama Wüste auf dem Bildschirm gesehen und davon gehört, dass argentinische Opponenten lebend aus dem Flugzeug ins Meer geworfen wurden, als es darum ging, politische Gegner zu erledigen und Spuren von Folter und Mord für immer zu verwischen.

Eine Diktatur ist immer eine Schreckenherrschaft. Ganz egal unter welchem weltanschaulichen Vorzeichen sie handelt.

Der Terror hatte die Freie Welt erreicht – und niemand tat etwas dagegen.

Da die Securitate auch mir vor meiner Ausreise – sozusagen als die conditio sine qua non des Passierendürfens - die Zusage abgerungen hatte, niemals im Westen politisch aktiv zu werden und öffentlich zu agieren, sondern für immer zu schweigen, noch endgültiger als ein Grab, musste auch ich jederzeit mit einem Attentat auf mein Leben rechnen, im Sarg zu landen oder, was noch schlimmer war, geliebten Wesen ins Grab nachzusehen. Und das konnte schon hier und jetzt sein. Schließlich hatte ich geredet; endlich frei gesprochen über das, was ich existentiell in drei Jahren Opposition erfahren hatte.

Aber ich hatte nur berichtet, sachlich berichtet – und ich hatte nicht gehetzt, wie einige Moderatoren des Senders Freies Europa, wenn sie in Fahrt gerieten.

Zu keinem Zeitpunkt hatte ich die Fakten überzeichnet oder aus Lust an der Polemik überspitzt dargestellt. Selbst den geliebtesten Sohn des Vaterlandes, den ich im Grunde mehr bemitleidete als verachtete, hatte ich nur als das charakterisiert, was er in Wirklichkeit auch war: ein uneingeschränkter Gewaltherrscher und Despot, ein Tyrann und ein Diktator; doch ich hatte nie Gefallen daran gefunden, ihn zu verhöhnen oder zu beschimpfen, obwohl ich ihn für einen Popanz hielt, für eine austauschbare Marionette.

Andere hatten ihn in ihrer Schelte zentral aufs Korn genommen, oft nur ihn, den Mittelmäßigen, und mehr und mehr auch seine ewig griesgrämige Gattin, die angeblich nur zwei Grundschulklassen absolviert hatte und doch als Akademikerin gelten wollte – selbst Caraion, der feine Poet, den ich sehr schätzte, obwohl ihn die zehnjährige Haft zum bitteren Zyniker gemacht hatte. Auch er nahm von Lausanne aus mit Vorliebe das Despotenpaar ins Visier und fokussierte seine bissige Kritik auf den stotternden Unkultivierten, der es bedauerte, die Zensur offiziell abgeschafft zu haben. Auch Caraion sah in den beiden Machtbessenen den Grund aller Übel, während dieser – nach meiner Auffassung viel breiter ausfiel und alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasste.

Bisher hatte ich nicht polarisiert; und ich hatte meine verbalen Attacken nicht nur auf eine Person fokussiert, sondern auf das ganze System, überzeugt der Kraft des Faktischen zu vertrauen, die aussagekräftiger und wirkungsreicher war als jede Polemik. Stets hatte ich das totalitäre System im Blickfeld, das in seiner Gesamtstruktur willkürlich, zynisch und menschenverachtend war, nicht einzelne seiner Exponenten. Deshalb war ich in meiner politischen Aufklärung immer sachlich vorgegangen und hatte Tatsachen angesprochen, ohne selbst zum Instrument anderer Interessen zu werden – ohne gezielt zu stigmatisieren oder zu dämonisieren. Die Fakten wogen schon schwer genug und führten sich oft selbst ad absurdum, was eher traurig wirkte als grotesk. Der polemisch sarkastischen Überzeichnung bedurfte es nicht mehr.  So vorgegangen zu sein, bot einen gewissen Trost, da ich glaubte, dass dies auch von den Geheimdienstlern so gesehen würde, die alles andere als dumm waren und sicher alle meine Schritte selbst aus der Ferne genau beobachteten. Einiges deutete darauf hin, dass es so war. Doch letzte Gewissheit bestand nicht.

Wer gegen ein ideologisches System ankämpfte, war potentiell gefährdet. Mein Rottweiler Domizil in der Heerstraße bot keine Sicherheit. Es war einfach und ungeschützt - jedermann hätte zu jeder Tag- und Nachtzeit mühelos eindringen können.

Die deutschen Sicherheitsorgane, vom Verfassungsschutz bis hin zum Streifenpolizisten, waren zu keinem Zeitpunkt in der Lage, etwas für meine persönliche Sicherheit zu tun. Als ich mich ihnen nach ersten anonymen Drohungen anvertraute und um Schutz nachsuchte, schüttelten sie nur verständnislos die Köpfe wie einst die Beamten des Auswärtigen Amtes in der Botschaft in Bukarest.

Idealistisches Eintreten für Menschenrechte in den Ostblockstaaten vom Westen aus und somit fortgesetzte Dissidenz kamen einem Kamikaze-Flug gleich, einem selbst gewollten Harakiri-Akt auf Zeit, der in eigener Regie betrieben wurde, wobei das potentielle Scheitern nicht verdrängt werden konnte. An sich war Dissidenz – zumindest in der Art, wie ich sie betrieb - ein wenig lukratives Metier, das enorme Risiken mit sich brachte und bestenfalls ein bisschen Ehre.

Alles was ich im Bereich der politischen Aufklärung unternahm, erfolgte auf eigene Gefahr. Das individuelle Exponiertsein, das mir schon seit dem Beginn der oppositionellen Tätigkeit bewusst geworden war und das sich in den Tagen des absoluten Ausgeliefertseins im kommunistischen Gefängnis noch verstärkte, blieb präsent und verfolgte mich wie ein böser Dämon, immer und überall - am Bahnhof, im Zug und auf der Reise.

Kein Wunder, dass einzelne Dissidenten irgendwann der Paranoia verfielen, ja von sich steigernden Ängsten sogar aufgefressen wurden. Freund Felix, der Musiker, war ein markantes Beispiel dafür. Je sensibler die Seele, desto verletzlicher ist sie. Schließlich konnten sich die Schergen der Diktaturen, unter ihnen auch Leute, die nichts zu verlieren hatten, gewöhnliche Kriminelle mit Mordauftrag, im Westen frei und unbeobachtet bewegen. Es war eine unsichtbare Bedrohung, der man ausgeliefert war und vor der man sich nicht schützen konnte.

Ehemalige Opponenten und Dissidenten waren in den Demokratien des Westens massiv gefährdet und dem langen Arm der proletarischen Revolution weiter ausgeliefert, solange die totalitären Machtstrukturen im Ostblock bestanden. Und sie sind es, wenn man die jüngsten obskuren Drohungen gegen Experten der Kommunismus-Aufarbeitungskommission ernst nimmt, auch heute noch, siebzehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Diktatur und selbst nach dem EU-Beitritt Rumäniens.

Wer etwas wagt, lebt gefährlich. Das wusste ich schon längst. Aber ich war kein Einsamer in der Wüste, der nur das eigene Leben aufs Spiel setzte. Die Nächsten waren mit betroffen. Immer wieder musste ich an die Menschen in meinem persönlichen Umfeld denken, an meine biedere, konfliktscheue Familie, an die unpolitische Freundin, die ich durch meine Aktivitäten mit gefährdete.

War die Sache es wert, soviel zu riskieren? Schließlich tobte der Kalte Krieg nach wie vor unversöhnlich zwischen Ost und West ohne Rücksicht auf Verluste. Das Attentat auf den polnischen Papst Johannes Paul II, hinter welchem der sowjetische Geheimdienst vermutet wurde, zeugte davon. Selbst der mächtigste Mann der Welt, Präsident Ronald Reagan, der – nicht anders als der Papst nie müde wurde, die Respektierung der Menschenrechte auch im Ostblock einzufordern – war, wie sich bald zeigte, verwundbar. Hatte ich ihn nicht, dem Nachfolger Petri gleich, wanken und stützen gesehen? Wie exponiert war da ein kleiner Fisch – im großen Strudel?

Wieder einmal setzte ich, salopp gesprochen, in letzter Instanz mein Leben aufs Spiel! Handelte ich aus Eitelkeit – oder war es doch eine übergeordnete Notwendigkeit, die mich antrieb? Doch war dies alles nicht eine Sache der Rumänen? Schließlich war ich doch schon am Ziel angekommen, in der Welt maximaler Freiheit, studierte, wirkte als Literat, ja selbst als Mitherausgeber einer bundesweit erscheinenden Kulturzeitschrift, war weitgehend glücklich, erfüllt und erfolgreich.

„Höre endlich auf mit der Politik – du bringst uns alle in Gefahr. Was willst du noch? Die Rumänen sollen ihre Angelegenheiten selbst regeln“.

Solches und Ähnliches hörte ich immer wieder aus meinem Umfeld, wo man sich bedroht fühlte und meine Haltung nicht verstand. Nicht jeder fand Gefallen an Heldentum, nicht jeder war bereit, höheren Werten, alles zu opfern, selbst den höchsten Wert: das Leben selbst. Was zählten Ideale, wenn man selbst bei ihrer Umsetzung auf der Strecke blieb? Es war nicht einfach, mich zu rechtfertigen. Was sollte ich sagen, nachdem ich meine eigene Haut in die Freiheit gerettet hatte? Nach mir die Sintflut?

Also blieb ich dabei und machte weiter, ohne dass es mir immer wohl dabei war. Die Securitate arbeitete wie die Mafia – sie zielte auf die Nächsten und erpresste alle Angehörigen im ihrem Machtbereich. Das war eine besonders effiziente Methode. Doch was war die Alternative zum Weitermachen? Sollte ich das höhere Ziel, das über mich hinaus ging, preisgeben, mich feige zurückziehen, in vermeintlicher Sicherheit ein bürgerliches Dasein führen und die sowieso immer und überall ungerechte Welt sich selbst überlassen?

Voltaire, mein großes Vorbild, für den die Idee der Freiheit die höchste Idee überhaupt war, hatte hier in Genf gelebt und als Freigeist und freier Bürger gewirkt. Vielleicht hatte er gerade an dieser Stelle hier, wo ich jetzt saß, über die Ideale der Menschheit nachgedacht. Oder Rousseau? Der andere von Freiheit durchdrungene Vordenker der Französischen Revolution, der als freier Bürger, als citoien de Geneve, hier eines seiner Schlüsselwerke veröffentlicht hatte, den Contract social, Rousseau, den ich ebenso verehre wie seinen spöttischen Widersacher Voltaire - war er es nicht, der die gefährliche Freiheit der ruhigen Knechtschaft vorgezogen hatte, der in Einsamkeit lebte, aber seinen großen Idealen treu blieb?

Verwies nicht die Bundesverfassung des neutralen Staates, in dem ich mich gerade befand, darauf, dass nur jener wirklich frei ist, der von seiner Freiheit Gebrauch macht und sich aktiv für freie Willensbekundung und Wahrheitsfindung einsetzt? Reichte die lange Tradition im Kampf für die Freiheit als höchstem Wert, der unzählige große Geister angehören, nicht bis in die Antike zurück, bis zu Sokrates, Epikur und den großen Denkern der Stoa?

Große Gestalten der Weltgeschichte hatten sich in ihr tragisches Schicksal gefügt und gehandelt, wie es ihnen ihr Gewissen befahl und dabei alles eingesetzt, auch ihr Leben. Bevor William Wallace, von meinen freiheitlichen Namensvetter Mel Gibson unübertrefflich in Szene gesetzt, auf dem Schafott angekommen die nachhaltigen Worte ausrief: Freiheit! Freiheit! Freiheit! – hatte er sein Leiden gerechtfertigt, das ein Leiden für eine Idee war, indem er es als sinnsetzend für das tatsächlich gelebte Leben darstellte. In den Jahren der Dissidenz fühlte ich ähnlich, auch ohne den beeindruckenden Kinostreifen gesehen zu haben. Sollte ich nun weichen, mich zurückziehen?

Die gesamte idealistische Haltung der letzten Jahre sprach dagegen. Also musste ich weiter machen, obwohl Zweifel aufkamen. Vielleicht hatte eine höhere Instanz oder das Schicksal gerade mich in die Situation versetzt, bestimmte Dinge tun zu müssen. In früheren Zeiten war es trotz Folter und Haft gut gegangen. Weshalb sollte es jetzt anders sein? Mit solchen Überlegungen verscheuchte ich die Mutlosigkeit und fand wieder zur Zuversicht zurück. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man!

Als ich später erneut mit Monsieur Robert zusammen saß, hatte ich kaum noch Mühe, aus der Weltstadt in die Alltagswelt des grauen Sozialismus zurück zu kehren, um die Bedingungen zu rekonstruieren, die aus kleinen Anfängen größere Ereignissen werden ließen

 

Leseprobe:

Auszug aus: Gegen den Strom – Deutsche Identität und Exodus

 

Ein langer Tag – Zwischen Dom und Kathedrale

 

Es ist kaum möglich, die oft stereotyp durchlebte tägliche Trivialität des Alltags in der Rückschau detailliert zu rekonstruieren und zu schildern. Ein nahezu identischer, austauschbarer Tag begann um fünf Uhr morgens im Elternhaus mit dem Aufstehen, dem kargen Frühstück und einer halbstündigen Busfahrt in die Stadt. Um sechs Uhr setzte bereits der Berufsalltag des Proletariers im Werk ein. Im mechanischen Atelier jener großen Trikotwarenfabrik sollte ich meine Stunden abarbeiten, dabei behilflich sein, kleine Reparaturtätigkeiten durchzuführen und beim Herstellen von Ersatzteilen an Drehbänken, Fräsen und Schleifmaschinen mitwirken.

Dabei lernte ich einiges. Noch wichtiger für mich war jedoch das Gespräch mit den Arbeitern, die permanente Kommunikation mit den Kollegen, die allesamt brav ihre Norm zu erfüllen suchten, deren Gedanken aber auch um alles kreisten, was Menschen bestimmt, die mit ihrem Los nicht ganz zufrieden sind. Bei allen gab es Höhen und Tiefen. Bereits um vierzehn Uhr passierte ich die Stechuhr und spazierte aus der etwas abgelegenen Fabrikstadt dem schöneren und erbaulicheren Stadtzentrum zu. Der Tag war noch jung – und Temeschburg war eine gemütliche Stadt.

Wer sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte wie meine Tante, die in einem der besseren Wohnblocks unweit des Hauptbahnhofs wohnte, konnte da beschaulich leben und den Tag genießen. Ich hingegen wurde – wie unzählige andere junge und jung gebliebene Menschen auch – von unüberbrückbaren Diskrepanzen bestimmt, die im sozialistischen Alltag nicht versöhnt werden konnten.

Nach einer kleinen Stärkung in einem der zahlreichen Schnellrestaurants, wo man den beliebten Salade de boeuf essen und einen Kefir trinken konnte oder nach einem Aufenthalt in einer kleinen Konditorei, wo es eine bunte Auswahl süßer sirupgetränkter Törtchen gab und manchmal selbst Exotismen wie grüne Bananen und Apfelsinen, bewegte ich mich auf das Gymnasium zu. Gelegentlich wurde ich unterwegs von Bekannten aufgehalten, die Neuigkeiten zu berichten hatten. Natürliche, intensive Kommunikation war die Regel. Jeder plauderte mit jedem. Einsame, gar vereinsamte Menschen waren mir in Temeschburg nicht bekannt.

Nicht selten führte mein Weg über den Domplatz an dem pompösen Dikasterialgebäude vorbei, einem Palazzo im Renaissancestil, der ebenso in Stockholm oder in Rom hätte stehen können, ohne dem Erlauchten darin Schande zu bereiten. Mittelpunkt des pittoresken Domplatzes, den ich nahezu täglich durchquerte, war eine kunstvoll angefertigte Pestsäule, die an größte Seuche der Menschheitsgeschichte erinnerte. Temeschburg war im 17. und 18. Jahrhundert, als die verheerende Seuche in ganz Europa wütete und Millionen dahinraffte, genau so betroffen wie Wien und Budapest.

Der Domplatz selbst imponierte durch seine Großzügigkeit und Symmetrie und verwies fern auf die vornehmen Gärten von Belvedere und Schönbrunn. Diesen Platz, der mit seiner warmen und beschaulichen Atmosphäre Erinnerungen an die gute alte k. u. k. Zeit wachrief, wo die Damen noch mit ihren Hündchen gelangweilt herum spazierten, an die Welt von Gestern, die von Stefan Zweig noch so innig beschrieben worden war, empfand ich als das große Gegenstück zur Lloydzeile, die von der Oper auf der einen Seite und der mächtigen, grün gekachelten Kathedrale auf der anderen begrenzt wurde.

Die Lloydzeile, ein zweiter Mittelpunkt der Stadt, hatte ein anderes Gesicht und erinnerte in ihrer modernen Gestaltung und nahezu weltmännischen Charakteristik an die Prachtmeilen bedeutender Städte in Westeuropa. Zwischen jenen markanten Punkten rollte fast mein gesamtes Stadtleben ab. Was am Domplatz fehlte, war ein prunkvoller Zierbrunnen, ein Springbrunnen, der dem schönen Ort mehr Lebendigkeit verliehen hätte. Ein springender Brunnen aber prägte das Bild der Lloydzeile.

Schon als Kleinkind stand davor und beobachtete fasziniert aus der Zwergperspektive, wie das kristallklare Wasser durch den weit geöffneten Mund eines steinernen Fisches aus dem Innern hervor schoss - und wie der mächtige Wasserstrahl in der Luft zu Tröpfchen zerperlte, in denen sich das Licht der Sonne in die Farben des Regenbogens aufspaltete. Auch das war eine Art Urerlebnis aus dem Lauf der Elemente, wo Wasser und Luft zu Licht und Farbe verschmolzen. Im Hintergrund der Fontäne, über alles erhaben, die bronzene Statue der Wölfin, Romulus und Remus säugend. Das Wasser verzauberte mich schon damals, ohne zu ahnen, dass ich als ein im Zeichen der Fische Geborener dem Lebenselement Wasser zugeneigt sein musste. Alles war schon damals in Fluss, fern von Heraklit. Und nichts war beständiger als der Wechsel.

Nur war Temeschburg, obwohl am Fluss gelegen, eigentlich keine wasserreiche Stadt: und deshalb auch keine Brunnenstadt. Wasser, das unverzichtbare Lebenselixier des Menschen, genauso wichtig wie die reine Luft zum atmen und wie die Freiheit des Geistes, war dort ein knappes Gut. Der winzige artesische Brunnen, nur wenige Meter von der Pestsäule entfernt, bot kaum Ersatz. Sein aus vierhundert Meter Tiefe stammendes Wasser, das im Grunde ein schlecht mineralisiertes Heilwasser war, wurde von alten Leuten trotzdem getrunken, obwohl es lauwarm war und fad schmeckte. Mit dem Wasser kamen überriechende Gase hoch, vermutlich Schwefelwasserstoff, den Lausbuben aus Langeweile auch Mal anzündeten. Selbst nach den beiden Weltkriegen, in welchem Temeschburg stark umkämpft und heftig bombardiert worden war, bot das Karre am Dom einen immer noch intakten Anblick. Mehrstöckige Bürgerhäuser umsäumten den Platz, der nur von einem zentralen Bauwerk überragt wurde – von der Kirche, der er den Namen verdankte: vom katholischen Dom.

In jenes Heiligtum begab ich mich manchmal, wenn mir die Außenluft zu heiß wurde und wenn ich, den Blick zum Kreuz und den Schutzheiligen erhoben, etwas tiefer über das Leben nachdenken wollte - nicht ohne den feigen Versuch zu unternehmen, etwas göttlichen Beistand anzufordern.

Andersdenkende lebten gefährlich. Und einen Deus ex Machina hatten sie immer und überall nötig. Wie die Rosen am Wegrand vor der Kirche so wirkte auch das Kreuz tief in die Zeit hinein. Es führte in alchemistischer Verdichtung vom Erdelement hinauf in höhere Sphären, in Bereiche der Freiheit, die der Geist nur ahnt und nach dem die geplagte Seele schmachtet.

Am Spätnachmittag strebte ich dann auf die Lenau-Schule zu, wo gegen fünf Uhr der Abendschulunterricht begann. Er bedeutete keine Herausforderung und glich mehr einem vergnüglichen Intermezzo mit unterschiedlichen Themen als einer systematischen Ausbildung. Gegen neun Uhr war Schluss. Anschließend ging ich zum nahen Busbahnhof und pendelte zurück ins elterliche Haus nach Sackelhausen oder ich zog mich in meine in unmittelbarer Nähe gelegene Spelunca zurück, die ich für einige Zeit als urbanes Refugium angemietet hatte.

Wenn ich heimfuhr, erreichte ich gegen zehn Uhr den heimatlichen Hof. Zum Schlafen, Säumen und Träumen verblieben mir noch knappe fünf Stunden. Diesen exzessiven Rhythmus einer Daueraktivität rund um die Uhr hielt ich ein ganzes Jahr durch, bevor er von höherer Warte aus abgewürgt wurde.

 

Unter Rosen

 

Manchmal machte ich im Rosarium Station, in jenem beschaulichen Rosengarten mitten in der Stadt, wo alte Menschen die letzten Sonnenstrahlen genossen und wo junge Verliebte eng umschlungen ihren Gefühlen freien Lauf ließen.

Der Rosengarten war der rechte Ort, um Einkehr zu halten, um die Stille zu genießen, um durchzuatmen und dem Gang der Gedanken folgen; auch um zu lesen oder um nur allein zu sein und um selbstvergessen vor sich hin sinnend manche kontemplative Stunde zu verbringen.

Das Rosarium, ein gartenähnlicher Park mit unzähligen Rosen, das man auch aus anderen Rosenstädten kennt, aus Eltville am Rhein, aus Weltbädern wie Baden-Baden, Bad Kissingen oder auch in Bad Mergentheim, war bereits in der Vorkriegszeit angelegt worden - mit mehr als tausend Rosenarten. Etwas von der früheren Pracht war immer noch da und erinnerte an rosigere Zeiten.

Eigentlich war ich unter Rosen aufgewachsen, wenn auch nicht auf Rosen gebettet. Wir hatten viele daheim im Vorgarten, wilde Feldrosen ebenso wie edelste Hybride aus England. Sie waren immer schon da und wurden gehegt und gepflegt - purpurne und samtrote, mehrfarbige und weiße Rosen, auch Strauchrosen und Heckenrosen, die im Konkurrenzkampf mit den ebenfalls sich hinauf schlingenden Reben, bis zum Dach empor kletterten und einen Teil des Hauses in ihrem grünroten Teppich verhüllten. Die Rosen waren ein natürlicher Teil unseres Lebens und wurden, wie jeder zur Selbstverständlichkeit gewordene Wert, gerade von uns jungen Menschen nicht angemessen gewürdigt. Nie hatte ich daheim über Rosen nachgedacht und übersah sie, wie ich vieles andere von Wert auch übersehen hatte.

Rosen sollten nicht nur wahrgenommen werden. Es gilt vielmehr, sie zu entdecken. Sie in ihrer Wesenheit im Bewusstsein aufzunehmen, in ihrer ästhetischen Vollkommenheit mit ihrem Duft, der ihr Wesen mit bestimmt. Erst im Rosengarten fand ich die Zeit und Muße, diese besonderen Pflanzen zu betrachten, ihr Bild zu erfassen und ihr Sinnbild. Die Rosen vor meinen Augen waren schön; sie verströmten ein mildes Parfüm – und sie waren zart und zerbrechlich wie alle Rosen.

Rosen blühten auf und welkten schnell dahin. Am gleichen Strauch sprossen sie und starben. Sie verglühten im Strahl der Sonne. Wie wir. Wie wir am Leben zerbrachen, ohne es voll ausgekostet zu haben.

Sie sind das Sinnbild unseres Lebens! Welcher Dichter hatte sie nicht besungen? Welcher Denker hatte nicht über sie nachgedacht? Welche Kultur hatte sich der Rose verschlossen? Könige hatten sich ihrer erfreut, und Kaiser! Zu allen Zeiten wurden üppige Rosengärten angelegt. Rosen prägten das Bild der Städte und den Hof auf dem Land. Wie die Reben standen sie für Kultur. Auch im Banat.

Ob es auch Orte gab, wo keine Rosen blühten? Orte, wo ihr Duft noch unbekannt war und der Reiz ihrer milden Feinheit? Lieder kündeten von ihr auch als Symbol, selbst als Symbol der Heimat.

Gelegentlich hatte ich Vater dabei beobachtet, wie er, der Gärtner aus Leidenschaft, mit den zarten Pflanzen umging, mit den Schönheiten, die auch Dornen hatten. Dann merkte ich, mit wie viel Liebe er diese Blumen umhegte, die ihm mehr zu bedeuten schienen als manche Menschen. Er kultivierte seinen Rosengarten wie Candide, nachdem er seine existentiellen Erfahrungen gemacht hatte, in stiller Kontemplation wie ein Mönch seinen Kräutergarten. War dies die Quintessenz seiner Existenz, nach den Erfahrungen der fünfjährigen Deportation als deutscher Volkszugehöriger? Auch der meinen? Oder der Existenz überhaupt?

Was bleibt übrig, wenn alle Erfahrungen gemacht, alle Leiden durchlitten und alle materiellen Werte verloren sind? Der liebevolle Umgang mit dem Schönen – die reine Anschauung? Doch war das Leben in der Pflanze wirklich besser aufgehoben als auf der höheren Entwicklungsstufe, im Menschen? Hatte es sich in die falsche Richtung entwickelt? Von Reflexionen verleitet, schlenderte ich durch den Rosenpark, durch ein Meer von duftenden Rosen; schneeweiße, rosenrote, gelbe und gesteifte Rosen, ganze Rosensträucher wie bei Dornröschen boten sich dar, verschwenderisch wie ein Luxus der Natur – erst hier, wo ich die Muße fand, mich betrachtend in die Natur zu vertiefen, ohne von den Wirren der wilden Außenwelt abgelenkt zu sein, entdeckte ich die wahre Rose: die Idee der Rose, von der schon Platon sprach – und hinter ihr die Emanation aus der Idee: die Symbolkraft der Rose.

War es ein Zufall, dass sich die mich immer schon faszinierenden vier Elemente, die ich nie aus dem Bewusstsein verlieren wollte, gerade in der Rose harmonisch vereinten, im alchemistisch mystischen Prozess wie ihn die Begründer des Rosenkreuzertums empfanden?

Neben dem Kreuz wurde die Rose zu einem vielschichtigen Sinnbild, das mich durch die Jahre der Opposition und durch das Leben begleitete, ohne dass ich damals etwas von den naturphilosophischen Schauungen jener Mystiker geahnt hätte. Als Repräsentant der aufgeklärten Zeit und der Naturwissenschaft scheute ich damals jede dunkle Mystik, jede Form der Geheimnistuerei und Geheimbündlerei, selbst das Freimaurertum, weil es noch geheimer war als frei.

Im Rosarium erkannte ich vielmehr den schönen Ort, der angenehm und zugleich verschwiegen war. Sub rosa dictum – das galt hier an diesem stillen Ort, wo der eigene Genius regierte und wo manches Gespräch geführt wurde, nur bis zu einem gewissen Grad. Wir waren zwar immer noch belauscht – mit Ohr und Blick. Doch unsere Gespräche, die vielleicht konspirativ anmuteten, waren im Grunde weltoffen und konkret sozialkritisch ausgerichtet. Die Pracht des Angenehmen und Nützlichen signalisierte auch Weltoffenheit. Die Rose stand, über die Verschwiegenheit, Keuschheit und Reinheit hinaus, für Licht und Leben, für Optimismus und Aufbruch. Sie war deshalb auch das Symbol einer neuen Zeit; des wahren Sozialismus, der eigentlichen Humanität, von welcher auch die Freimaurer träumten.

Die Assoziationen, die Rosen in meinem Gedächtnis wachriefen, je tiefer ich ihrer Symbolik auf den Grund gehen wollte, waren vielfältig und chaotisch wie der Wandel der Sinnbildlichkeit in der Zeit und reichten zurück bis in die Welt frühkindlicher Wahrnehmung, bis in die Bereiche des Unbewussten. Düfte waren ebenso tief verwurzelt wie Farben, viel tiefer als Begriffe.

Als Kind hatte ich einst ein blutrünstiges Spektakel am Bildschirm verfolgt, ein Szenario von erhabener Schönheit und nackter Brutalität in der Serie: Der Krieg der Rosen. Dargestellt wurde dort in bester Theatralik ein authentischer Machtkampf im alten England, ein langwieriger und vernichtender Krieg zwischen den Häusern York und Lancaster im Namen und unter dem Emblem der Roten Rose und der Weißen Rose - mit einer Handlung, von der mir bald nur noch das Bild rollender Köpfe im Gedächtnis haften blieb und ein unendlicher Strom von Blut, dessen rote Farbe ich so deutlich sah wie die Leuchtkraft der Rosen, obwohl das damalige Medium noch keine Farben wiedergeben konnte.

Und dann…waren da nicht noch ganz andere Köpfe, die rollen mussten? Im fernen Berlin? Weil der Führer es befohlen hatte? Köpfe von Friedfertigen, von reinen Pazifisten, die gegen Krieg und Vernichtung aufstanden und für eine Idee: für die Idee der Freiheit?  Und für die Vorstellung von einem freien Deutschland?

War da nicht eine ganz andere Weiße Rose? Ein Symbol des Kampfes gegen übelste Tyrannis! Ein Symbol des Widerstands! Des Aufbegehrens des Gewissens, des aufrechten Bürgers gegen maßloses Unrecht! Ein Sinnbild des Widerstands gegen den mit Abstand größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte, gegen Hitler, und gegen das System des Nationalsozialismus in Deutschland?

Was wusste ich von den Geschwistern Scholl aus Ulm? Von Hans und Sophie? Von ihren geistigen Mistreitern Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell. Von ihren zahlreichen Unterstützern aus München?

Es waren junge Leute in meinen Alter, die aufgestanden waren und vom Gewissen getrieben friedlich gegen ihr totalitäres Regime opponiert hatten, nachdem sie dessen verbrecherische Politik und Kriegsführung teilweise aus eigenen Anschauungen an der Front kennen gelernt hatten. Der verbrecherische Vernichtungskrieg im Osten hatte sie veranlasst, andere Mitbürger aufzuklären und zum Widerstand gegen Hitler und seine Handlanger aufzurufen.

Ihr Schlüsselwort war Freiheit! Sie war ihr moralischer Antrieb und der Motor ihres Gewissens!

Nachdenklich saß ich auf einer Bank und blickte konsterniert in die Zeit…Noch wusste nicht viel über den Widerstand gegen Hitler. Nur das wenige, was ich den Nachrichtenmagazinen entnommen hatte. Noch spärlicher waren meine Informationen über die anderen Attentatsversuche auf den zynisch diabolischen Diktator, von Elsner bis zu Claus von Stauffenberg; vom Kreisauer Kreis bis hin zum Heros Rommel und der zwielichtigen Gestalt von Admiral Canaris.

Doch war mir bewusst, dass unzählige andere anständige Deutsche mit aufgestanden waren, um auf ihre Weise früher oder später zu handeln; und dass sie als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und gegen die Hitler-Diktatur im Dritten Reich verfolgt, abgeurteilt und ermordet worden waren. Das genügte mir, um an eigene Aktionen zu denken. Nur war ich noch weit davon entfernt, die Tragweite der Handlungen des Widerstands zu erfassen. Damals sah ich die deutsche Widerstandsbewegung im Chor der vielen Freiheitskämpfer aller Zeiten, ohne den besonderen Charakter der Taten zu erkennen. Die Reife der Durchdringung und ein ausdifferenziertes, vertieftes Geschichtsbild fehlten mir noch. Doch die Vorbildfunktion der Widerstandshelden stand fest. Deshalb wollte ich nicht zurück stehen.

Auch wir lebten in einer Diktatur, deren selbstgefälliges Walten so nicht hingenommen werden musste. Die Freiheit war ein Wert, der einem nicht so einfach zufiel wie eine reife Frucht vom Baum. Sie war fern wie ein Edelweiß an steiler Felswand und versteckt hinter spitzen Dornen. Sie zu erlangen erforderte Leidensfähigkeit und Mut – Aktion und Passion. Hatte ich diese Eigenschaften?

Sachte näherte ich mich einem Rosenstrauch aus Purpur und sah dem Wachstum zu. Es ist erhaben zu sehen, wie etwas wächst, wie erste zarte Blätter ausgeformt werden, nach dem Plan, den die Natur vorgegeben hat; wie sich Knospen bilden und aufbrechen; wie sich die Blüte öffnet und ihr Parfüm verströmt, ihren natürlichen Duft, den kein noch so meisterhafter Parfümeur nachahmen kann. Wachstum hat etwas Erhebendes, in der Pflanze wie im höheren Leben.

Wehmütig bückte mich leicht hinab und sog den Duft einer gerade sich öffnenden Knospe ein, lange und tief wie etwas, was man aufnimmt, um es nie wieder preiszugeben. Die Süße drang in mich ein wie Ambrosia, wie eine Speise der Götter, die Geistiges nährt. Das war etwas, was noch intakt war in einer kaputten Welt.

Ja, die Rose war immer schon etwas ganz Besonderes…Wer allein ist, ist auch im Geheimnis, sagt Benn. Hier war ich allein. An einem Locus amoenus, an einem lieblichen Ort, unter Rosen, um mich der Genius loci. Allein mit meinen Gedanken, umgeben von dem karminroten Samt einer Heckenrose mit unzähligen Blüten in allen Entwicklungsstufen. Ich pflückte eine davon, die gerade dabei war, zu vergehen, und zerrieb ihre tiefroten Blütenblätter in den Fingern. Sie verfärbten sich blutig und erinnerten an anderes Blut, das geflossen war, vom Kreuz herab und vielfach unter dem Zeichen des Kreuzes bis hin zum Hakenkreuz.

Wo stand ich? An der Seite der Kreuzritter? Oder im Lager der Rosenkreuzer? Oder allein? Die einen kämpften für die Idee des Christentums gegen Juden und Moslems und gegen die eigenen Glaubensbrüder, um eine bestimmte Vorstellung vom Christentum durchzusetzen; mit Mitteln, die in der Zeit lagen und damals legitim schienen, mit dem Schwert wie schon Karl der Große.

Die anderen kämpften an einer anderen Front, im Verborgenen gegen den starren Geist ihrer Zeit, im Geheimen, den stillen Kampf des Verstandes, dessen Taten nicht gleich offensichtlich wurden. Viele Denker, die ich bewunderte, wurden zu ihnen gerechnet. Francis Bacon, Giordano Bruno, René Descartes, Johannes Kepler und Baruch Spinoza waren nur einige illustre Namen von hunderten, die sich unter das Kreuz und die Rose scharten, um in diesen Zeichen mit der Kraft des Geistes ihr humanistisches Werk zu vollenden. Es waren allesamt frühe Aufklärer, Reformatoren ihrer Zeit, die die gespaltene Welt am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges zum Positiven hin verändern wollten. Es waren freigeistige, antiklerikale Denker, die der institutionalisierten Kirche und dem Papsttum ebenso kritisch begegneten wie der Reformator Martin Luther.

Antiklerikalismus unterm Kreuz? Das war kein Widerspruch! Auch mein Protest hatte sich unter das Kreuz geflüchtet. Das fühlte auch ich. Die Wege unterm Kreuz waren so vielfältig wie das Ringen um die Ideale des Kreuzes. Was assoziierten die Rosenkreuzer mit dem goldenen Kreuz und der roten Rose? Das Kreuz symbolisiert den Menschen, der aufgerufen ist, sich in seiner Wesenheit zu überprüfen und so zu hinterfragen, dass er sich von der niederen, unedlen Stufe zu einem aufrechten, höher stehenden edlen Menschen entwickelt. Spätere Freimauer wie Haydn, Mozart, Lessing und universale Geister wie Goethe bis hin zu Thomas Mann haben diesen Weg zum Humanum hin in dieser Tradition gesehen. Die Rose hingegen symbolisiert die Seelenessenz, bei der die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft im Einklang stehen.

Ich sah die Dinge nüchterner in intuitiver Ablehnung des Esoterischen und Okkulten und erkannte in den beiden Symbolen lediglich sehr alte Sinnbilder der Menschheit, die ihre Geschichte durch die Jahrtausende bestimmt hatten.

In Lenaus Lyrik hatte ich Spuren einer Rosenkreuzerrezeption gefunden, die vermutlich auf den Umgang mit dem Theosophen Franz von Baader zurückzuführen waren und gedanklich zu Rudolf Steiner hinführten, zu Steiner der über das Kreuz und die Rose geschrieben und eine Philosophie der Freiheit verfasst hatte. Mir genügte jedoch seinerzeit die allgemein verständliche philosophische Botschaft der beiden Symbole, die mir persönlich in meiner gesellschaftlichen Auseinandersetzung eine wertvolle Orientierung boten.

Für mich avancierte das Kreuz zum Kampfsymbol im weitesten Sinne, ohne es vollständig vom Religiösen zu lösen, während die Rose den Rückzug in das eigentliche Menschsein, in Schönheit, Liebe und Humanität, darstellte. Freudig kämpfen und entsagen – ein Motto, das die angebetete Geliebte dem liebend leidenden Lenau vorgegeben hatte. Also war auch ich bereit, meinen Kampf zu kämpfen: für die Kunst und die Welt dahinter. Das Rosarium wurde zum Rückzugsort und gleichzeitig zum Ort vielfältiger Gespräche, zum Ort der Muße, der Muse und des Dialogs – und die Rose blieb mein Symbol der Hoffnung.

 

 

Am Schwarzen Meer – Einübung in die Ars amatoria

 

Nur kurze Zeit nach jener Maskerade ohne Masken, die immerhin die Unzufriedenheit anderer Arbeiter öffentlich gemacht hatte, trat ich den mehr notwendigen als verdienten Urlaub an und unternahm zusammen mit meinem guten Jugendfreund Erwin Mayer eine fast tausend Kilometer weite Reise vom westlichsten Punkt Rumäniens zum östlichsten hin, an die Küste des Schwarzen Meeres.

Als Folge des verheerenden Erdbebens, das auch in den Medien des Westens viel Resonanz erzeugt hatte, hatten zahlreiche ausländische Urlauber ihre Schwarzmeerreisen storniert und somit Kapazitäten für die nicht minder erholungsbedürftige inländische Bevölkerung frei gemacht. Wir erfuhren irgendwie von den Leerständen, griffen zu und buchten spontan einen Zwei-Wochen-Aufenthalt im Hotel mit Vollpension; im Hinterkopf den leisen Gedanken, von der Küste aus nach Bulgarien zu reisen, um von dort möglicherweise sogar im Rahmen eines Tagesausflugs in die Türkei überzusetzen und so dem Ostblock für immer den Rücken zu kehren. Ausbruchphantasien dieser Art gingen uns ständig durch den Kopf, inspiriert von manch abenteuerlicher Flucht, die Menschen aus unserem Umfeld glücklich zur Freiheit verholfen hatte.

Der Küstenaufenthalt wurde nach anfänglichen Akklimatisationsschwierigkeiten, die zum sozialistischen Alltag gehören, zu einem großen Natur- und Landschaftserlebnis. Allein schon die Fahrt ans Meer war beeindruckend. Nachdem wir in Temeschburg in einen Schnellzug gestiegen waren, reisten wir vergnügt und für die Zeit eines Tages auch sorgenfrei vom kontinentalen Banat in die mediterrane Dobrudscha.

Die Fahrt ging zunächst durch das Banater Bergland, das wir als unser klassisches Erholungsgebiet recht gut kannten, durch milde Hügel mit geschmeidigen Flüssen und tiefen Tälern bis zur Donau; vorbei an jener Stelle, wo die von Türken besiedelte Insel Ada Kaleh in den Fluten versunken war, um ein riesiges Staudamm-Projekt zu ermöglichen. Das eiserne Tor, ein Wasserkraftwerk der Sonderklasse, das zusammen mit den Jugoslawen Titos an der gemeinsamen Grenze im Strom errichtet worden war, um anderen Strom zu erzeugen, galt als Prestigeprojekt und zeugte davon, das die Diskriminierung Titos im kommunistischen Lager partiell überwunden werden konnte. Dann ging es für Stunden mehr langweilig als anregend durch die fruchtbaren, uns wenig vertrauten Humusebenen der flachen Walachei.

Gelegentlich verließ ich das Abteil und lief ein paar Schritte im Zugkorridor auf und ab, den Blick in die unbekannte Gegend gerichtet, die wechselvoll vor mir vorüber zog, ohne dass ich all das Neue hätte aufnehmen können.

Während der Zug durch die südliche Walachei raste und ich apathisch ins Grüne blickte, trat ein schmächtig dürres Männlein an mich heran. Er war wohl in Craiova zugestiegen. Während er sich eine Zigarette anzündete, stimmte er einen Singsang an. Ganz so nebenbei und ohne mich überhaupt anzusehen, murmelte er mir eine kleine Geschichte ins Ohr und schilderte in einem merkwürdigen Tonfall, weshalb es ihn an die Küste verschlage.

 „Ich habe eine Gespielin in Constanta…Sie rief aaan…Und sie sagte - Komm doch, komm doch, komm doch! Und da hab’ ihr geantwortet: namban, namban, namban - ich habe kein Geld, hab kein Geld, hab kein Geld! Laassss du das Geeeld!“... hatte sie dann gesagt,  „und komm!“ - Und ich fahre!“

Mit dieser witzigen Episode drang er in meine Einsamkeit ein und störte meine Besinnung, ohne dass es ihm weiter aufgefallen wäre. Unmittelbare Kommunikation mit jedermann war aus seiner Sicht etwas ganz Natürliches, auch wenn diese nicht verbal erwidert wurde. Es redete aus ihm – und mir blieb nur das Staunen. Direkt reagieren konnte ich auf den Vortrag nicht mehr, weil der Bursche sich genauso plötzlich wieder abgewandt hatte, wie er gekommen war.

Fern erinnerte der stereotype Duktus an die Litanei in Latein, die mir noch aus den Frühmessen meiner Ministrantenzeit nachklang, und an das Rosenkranzgebet der Großmütter, das immer bei den Beerdigungen auf dem Land zu hören war, im monotonen Auf und Ab der seltsamen Stimmen. Das Ganze erinnerte an ein Theater, wo nur ein Protagonist auftritt, seinen Monolog hersagt und dann hinter dem Vorhang verschwindet.

War denn alles nur noch Theater? In der Fabrik und im Alltag? Wer war die Puppe? Und wer zog die Fäden? Und konnten wir nicht wie die Stricke zerreißen wie Gulliver in Liliput und frei werden?

Als mein Reisebegleiter, der heute weitgehend unpolitisch lebt und fern der Öffentlichkeit sein Leben in Freiheit auf seine Weise genießt, nach mir suchte, trug ich ihm hoch amüsiert das Gehörte vor und wiederholte den wunderlichen Monolog später noch so oft, dass der seltsame Ton erhalten blieb. Das war unmittelbar erlebte Volksdichtung, Poesie, deren Schöpfer für alle Zeiten anonym bleiben sollte. Wir lachten auch köstlich darüber, weil uns diese Philosophie des unbekümmert in den Tag Lebens imponierte. Von der Hand in den Mund – so lebten unsere Zigeuner. Und so entzogen sie sich der Gängelung des Staates.

Seit der gemeinsamen Kindergartenzeit verstanden wir uns prächtig. Wir hatten viel Freizeit miteinander verbracht, beim Spiel, Sport und auf Ausflügen, wir hatten über manches nachgedacht, aber auch oft und gern gelacht wie damals in Wolfsberg im Kino, als wir zwei kichernde Mädchen mit einem Shut up zur Räson gerufen hatten, um dann die Replik zu hören: „Wir sprechen nicht Ungarisch“.

Die Namenskoinzidenz mit meinem oppositionellen Weggefährten Erwin Ludwig aus Nero war rein zufällig. Beide kannten sich aus den Klubbegegnungen, verloren sich aber später aus den Augen.

Im Zug sprachen wir fast nur über Banalitäten und rätselten schon darüber, was noch an unkalkulierbaren Überraschungen auf uns zukommen könnte. Solch ein Urlaub am Meer war als Ausflug in eine freiere Welt im Grunde doch ein kleines Abenteuer. Es war schon Nachmittag, als wir Bukarest ankamen. Dort hielt der Zug etwas länger. Fahrgäste stiegen aus und zu. Dann ging es weiter.

 

Holzkreuze im Wind

 

Bevor wir gegen Abend das Gebiet der Dobrudscha erreichten, wo sich, in kleinen Siedlungen verstreut, vor längerer Zeit ebenfalls deutsche Siedler niedergelassen hatten, durchquerten wir jenen unseligen Landstrich, das Baragan, das heute wieder in sein Wüstendasein zurückgefallen ist.

Hierhin waren allein aus unserem Dorf mehr als zweihundert Menschen zwangsdeportiert worden. Zehn Jahre ihres Lebens hatte sie in dieser Wüste verbringen müssen, abgeschottet von dem natürlichen Umfeld und als Strafe für die Zugehörigkeit zum Deutschen Volk.  Mein Nachbar, der Dichter, hatte hier sogar das Licht der Welt erblickt. Und ein anderer Dichter aus einem Nachbarort ebenso.

Noch keine dreißig Jahre waren vergangen, seitdem man unsere Landsleute aus ihren Häusern getrieben hatte, um sie, in Viehwaggons zu verfrachten, durchs Land zu karren und sie dann auszusetzen wie Freiwild, auf dem freiem Feld, mitten im Ödland, dem Regen, Sturm und Schnee schutzlos ausgeliefert.

Fast fünfzigtausend Menschen wurden im Baragan ihrem Schicksal überlassen. Nicht nur Deutsche. Auch das war Geschichte. Geschichte, aus der es kein Entrinnen gab. Einiges war darüber berichtet worden und klang merkwürdig makaber nach: Braila, Galatz, Baragan – alles Namen, die an Sachalin erinnerten, an den Archipel Gulag und an finster frostiges Sibirien; und sie waren gleichbedeutend mit Aussetzung, Verbannung und intendierter Vernichtung.

Solschenizyn hat das, was die unmenschliche Seite der sowjetischen Geschichte betraf, in seinen Werken beschrieben und für die Nachwelt festgehalten. Auch über die Baragan- Deportationen liegen Dokumentationen und Zeitzeugenberichte vor, die in der Geschichtsforschung noch nicht adäquat berücksichtigt wurden wie das Werk Und über uns der blaue endlose Himmel, eine Dokumentation von Wilhelm Weber, die an Menschen und ihre Schicksale erinnert und die jene traurige Realität der fünfjährigen Deportationszeit offen legt.

Doch was tangierte mich damals die wissenschaftliche Aufarbeitung der Materie. Entschärfte nicht gerade das abstrakte Abhandeln der Thematik die Brisanz jener Zeit des blinden Stalinismus? Mich interessierten primär Einzelschicksale. Die Menschen hinter den Zahlen und Fakten interessierten mich, ihr exponiertes Los als Opfer, ihr Überleben in Strohhütten bei Eiseskälte, ihr Leiden und ihr Unglück, das aus einer Ungerechtigkeit erwachsen und wie eine metaphysische Vergeltung über sie gekommen war. Wie viele Menschen waren in diese Steppe verfrachtet worden wie Vieh?

Und dies nach den Schrecknissen der Vernichtungstransporte in die Konzentrationslager! Wie viele Kinder wurden in diese unwirtliche Einöde hineingeboren? Wie viele starben hier, noch bevor ihr Leben begonnen hatte?

Und wie viele von ihnen mussten - mit einem Baumzweig in den Händen, da es nichts anderes gab, vor einer Kerze kniend - mitten im Schnee traurige Weihnachten feiern? Unter gestirntem Himmel, weil auch die Kirche fehlte? Solche Bilder klagten mehr an als abstrakte, völkerrechtliche Klageschriften!

Schließlich durften auch noch die Alten und die schwachen Menschen nicht vergessen werden, von denen viele bereits nach der Ankunft - medizinisch unversorgt - im Elend verstarben. Mein eingetrübter Blick schweifte hinaus in die Steppe, wo Verwandte ruhten, Landsleute, Menschen.

Und manchmal glaubte ich eines von den verwitterten Holzkreuze zu erkennen, die unbetreut am Wegrand zurückblieben waren wie die längst vermoderten Körper der Verstorbenen. Es geht dem Menschen wie dem Vieh, so wie es stirbt, so stirbt er auch. Brahms Akkorde drängten sich auf, kräftig und ernst – und die Salomonische Welt von Vorgestern.

Der Tod war unter uns – mitten im Leben. Und alles schien der Vergänglichkeit preisgegeben, Lust und Leid: Vanitas vanitatum vanitas - seltsame Kreuze sah ich fallen und keine Rosen!

Weshalb und wofür? Das fragte ich mich, ohne zu bemerken, wie Wehmut heraufzog. Weshalb die Rache an Menschen, die in einem bestimmten Landstrich wohnten? Weshalb die Vergeltung an Kindern?

Wo war die zivilisierte Welt, als das Lineal angesetzt und der Federstrich gezogen wurde – von Leuten, die das internationale Recht verhöhnten. Stalin hatte es in Potsdam so gehalten  und Churchill und Truman ausgestochen. Seine Handlanger und Vasallen hielten an der Methode noch 1951 fest und setzten sie zynisch um. Hatte man nicht wieder die falschen Schweine zur Schlachtbank geführt? Wo waren die Vereinten Nationen und das Völkerrecht? An diesem Punkt hatten die Demokratien des Westens versagt; und dies, sechs Jahre nach dem Kriegsende. Ein schaler Geschmack blieb zurück.

Die rückwärtsgewandte Betrachtung der Geschichte und die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit erinnerten mich an die unbefriedigende Gegenwart, die aus Fehlern resultierte. Vieles war immer noch so, wie es nicht sein sollte. Die Botschaft der Geschichte war verhallt.

Es war eine sonderbare Fahrt; eine Reise, die mir symptomatisch schien für das ganze Leben. Wer zum Meer wollte, um etwas von der Unendlichkeit seiner Freiheit zu erfahren, wer zum Angenehmen wollte und zum Schönen, der musste erst durch Dornen hindurch und durch die Schrecknisse der Vergangenheit.

 

Himmel und Hölle

 

Die Vegetation wechselte. Allmählich setzte sich die Gewissheit fest, dass wir näher an das Donaudelta heran kamen, in jene urwüchsige Landschaft aus Süßwasser und Schilf, wo die Donau drei große Arme bildet, um sich dann, nach ein paar Windungen mehr, in den ewigen Ozean zu ergießen. Selbst die Luft veränderte sich. Über allem lag der frische Duft von Meer und verbunden mit der Andeutung einer salzigen Brise, die mir sanft in die Nase stieg und die man schmecken konnte. Es roch grün, wie es die Seebären ausdrücken. Die frische Luft lockerte auf, der Körper entkrampfte und mit ihm die erschütterte Seele. Ein paar Kilometer weiter war ein großer See auszumachen, ein Brackensee, wo sich das Salzwasser des Meeres und das süße Grundwasser mischten. Und auf einer Landzunge dort lag Pensinsula, ein Ausrottungslager, ein KZ des Kommunismus. Ein guter Bekannter hatte dort einige Jahre seines Lebens verbringen müssen, zusehend, wie zwanzigtausend politische Häftlinge gequält und nicht selten umgebracht werden. Und dies – nur eine Steinwurf von dem Urlaubparadies Costinesti entfernt, wo sich die Jugend der Welt traf und wo der sozialistische Staat sein liebstes Gesicht zeigte – den schönen Schein. Himmel und Hölle lagen dicht aneinander.

Schließlich erreichten wir die Küstenstadt Constanta, das ehemalige Tomis der Griechen und der Römer, wohin Augustus, wohl aus einer Laune heraus, Ovid verbannt hatte. Zweitausend Jahre waren inzwischen ins Land gegangen – und viel Wasser war den Danubius, den Ovid Hister nannte, hinab geflossen. Und die Willkür von damals glich der Willkür von heute aufs Haar.

Hatte Ovid die Kunst des Liebens so plastisch, so vortrefflich geschildert, dass die Sitte des gestrengen Roms darunter litt? Oder war auch er bereits aus politischen Gründen in die Wüste geschickt und verbannt worden – wie unzählige berühmte und weniger berühmte Dichter nach ihm?

Mir war gesagt worden, der viel gepriesene Poeta laureatus seiner Zeit würde hier irgendwo in Bronze gegossen auf dem Sockel stehen. Nur gab es keine Gelegenheit, die Statue aufzufinden und dem Verfasser der ars amatoria unsere späte Reverenz zu erweisen. Was wussten wir Jünglinge schon von der Kunst des Liebens und Verführens, von den Metamorphosen des Edlen zum Unedlen und von der Wandlung des nach Erkenntnis Strebenden zum Liebenden. Don Giovanni war uns noch ferner als Faust und Ovidius Naso.

Es ging anschlussbedingt gleich weiter über die Kleinstadt Eforie nach Venus, in eine jener kleinen Satellitenstädte, die als Bettenburg für die zahlreichen in- und ausländischen Touristen aus dem Boden gestampft worden waren.

Das Hotel war schnell gefunden. Nur das Belegen des Zimmers machte Schwierigkeiten. Wieder schien uns der sozialistische Alltag eingeholt zu haben - wie insgeheim befürchtet. Misswirtschaft, Missmanagement auch hier in der modernen Freizeitwelt. Die stornierten Zimmer der Ausländer waren mehrfach verkauft worden. Jetzt stand die dreifache Menge an Gästen draußen wartend vor der Tür. Wer sollte, wer konnte in dem engen Hotel untergebracht werden?

Das waren schwierige Fragen sozialistischer Logistik, auf welche die Marketingexperten vor Ort keine Antworten wussten. Der Computer war zwar schon erfunden, aber noch nicht bestellt. Die Devisen dafür mussten erst verdient, trotz des Bebens.

Nach welchen Kriterien war eine Auswahl zu treffen? Sollte das Parteibuch entscheiden, der Universalschlüssel für alle Eingangspforten der sozialistischen Gesellschaftsordnung? Oder sonstige Merkmale wie Nationalität, Nasenlänge, blaue Augen – oder das altbewährte, gern genommene und auch stets erwartete Bakschisch? Der Löwe im Ausweis? Drüben in Bulgarien wurde die Lewa gern genommen, hier der Leu, dessen Kaufkraft etwas von der Bissigkeit eines Papiertigers hatte.

Wir beide, zwei Burschen aus dem Banat, offensichtlich Nichtrumänen, genossen keine besondere Priorität, denn Genossen waren wir bestimmt nicht. Aber dafür waren wir jung und kräftig – und vermittelten durchaus den Eindruck, dass wir einige Nächte wohlbehalten unter freiem Himmel im Sand übernachten konnten. Also ließ man uns warten, ohne dass irgendwie Notiz von uns genommen worden wäre. Wir waren Luft.

Als nach einigen Stunden vergeblichen Wartens immer noch keine Fortschritte erkennbar waren, mischte ich mich unter die Herumstehenden und begann damit, mir etwas von dem Ärger von der Seele zu reden. Dabei prangerte ich die bestehenden Missverhältnisse ungeniert mit lauter Stimme an, gut hörbar auch für jene, die begierig nach Mißtönen im offenen Konzertsaal lauschten.

Das ging eine Weile gut, bis ich von einem misstrauisch dreinblickenden Zeitgenossen unterbrochen wurde, der sich unauffällig aus dem Haufen gelöst hatte und diskret an mich heran getreten war. Das graue Männlein war natürlich von jener Zunft, der ich hier am Meer eigentlich hatte entfliehen wollen und mit der ich im Urlaub nicht wirklich gerechnet hatte. So kann man sich täuschen. Es gab sie auch im Urlaub, sie waren einfach überall, diese grauen Leute. Doch sein dezenter und doch als Einschüchterung gedachter Hinweis, er sei von der Geheimpolizei und hier im internationalen Ambiente für Fragen die Staatssicherheit zuständig, beeindruckte mich nicht wirklich. Schließlich hatte ich schon einiges auf dem Kerbholz und bereits etwas Erfahrung im Umgang mit dem bösen Wolf, der lieber die Menschen erschreckte, als konsequent durchzugreifen. Also legte ich – geschützt von der zustimmenden Menge - noch einmal nach, drehte verbal auf und zog alle Register rhetorischer Polemik, so, dass dabei das entlarvende Schüsselwort Securitate gut hörbar für die meisten Mitbetroffenen immer wieder in die lauten Exkurse eintröpfelte. Der Spürhund reagierte irritiert, war überfordert und kapitulierte schließlich mit der Konzession, er werde sich unverzüglich unserer Sache annehmen und das Problem beheben.

Bald darauf tat sich tatsächlich etwas. Bewegung kam auf. Der Direktor des gebuchten Hotels wurde herbei zitiert. Es gab Geflüster, schiefe musternde Blicke in unsere Richtung und zustimmendes Nicken. Es sah gut aus. Also schliefen wir doch noch in einem Bett und nicht am Sandstrand?

So schien es zunächst. Doch der Schein trog erneut. Mehr mürrisch als nett wurden wir in die Lobby gebeten und sollten dort weiter abwarten. Nachdem sich die omnipotente Gestalt des allmächtigen Dienstes entfernt hatte, machte sich allerdings wieder eine alte Nostalgie breit, wie man sie nur noch auf indischen Bahnhöfen erleben kann. Die Zeit stand plötzlich wieder still – nunc stans, für Ewigkeiten, so fühlte ich es. Der Dämon des Nichtstuns kam herab und lähmte jede Aktivität. Die Dämmerung brach herein. Und wir saßen immer noch in der Lounge in weichen Sesseln, die Koffer neben uns, und warteten…warteten…und warteten - wie auf Godot.

Warten ist eine viel eingeübte Tugend im Sozialismus. Doch wenn der Zuckerspiegel fällt und das Testosteron ansteigt, kann selbst das Warten gefährlich werden. Missmut kann auf. Sollte ich wieder randalieren? Wieder den alten Bekannten aus dem grauen Verein auf den Plan rufen, damit es vorwärts ging?

Da schoss mir eine andere Strategie ein, eine weniger ethische, eine Strategie der Impertinenz als Antidot auf das uns applizierte Schleichgift der Ignoranz. Unauffällig auffällig öffnete ich so nebenbei den prall gefüllten Reisekoffer, wühlte in meinen Sachen herum, breitete die bunten Textilien demonstrativ auf dem Boden aus, griff nach dem weißblau gestreiften Pyjama und fing gelassen an, mich zu entkleiden. Unerwartet stand der Direktor wieder neben mir und gaffte mich verblüfft an:„Was machst du denn da?“ wollte er wissen.

„Die Nach bricht herein“, antwortete ich lakonisch lässig, „und nach der langen Bahnfahrt von Temeschburg hierher bin ich müde geworden und fühle das Bedürfnis, mich endlich auszuruhen, zur Not auch hier vor allen Leuten, im Fauteuil! Also kleide im mich um. Wo darf ich die Zähne putzen und den Rest der Abendtoilette erledigen?“

Der Direktor hatte verstanden. Nervös geworden, lief er hektisch davon, gestikulierte wild durch die Luft verständigte sich mit einigen Hotelangestellten. Dann ging alles recht schnell. Nach wenigen Minuten wurde uns ein Zimmer zugewiesen; ein schönes, helles und sauberes Zimmer im Erdgeschoß mit direktem Ausgang zum Meer. Der Urlaub konnte beginnen. Es war schon spät geworden. Übermüdet sanken wir auf unsere Schlafstätten und schliefen bald darauf ein.

 

Mit Ovid in Tomis

 

Von Ferne hörte man das sanfte Rauschen der Brandung. Am nächsten Morgen, nachdem endlich alle organisatorischen Abläufe geregelt waren, fand ich erstmals Zeit, an die Küste zu gehen.

Zum ersten Mal erlebte ich es wirklich – das Meer! Elementar und mächtig - beeindruckend wie eine Urgewalt, wie symphonische Musik und wie das Hochgebirge. Jetzt hatte ich alle beisammen. Und der Ärger war verraucht.

Die anderen Badegäste zurücklassend, schritt ich auf einer steinernen Pier hinaus bis zu einem solitären Punkt, wo die Wogen auf schwere Felsen schlugen und schäumend zerschellten. Als ich so auf dem Felsen stand, nur von den tosenden Fluten umgeben, allein wie einst Walter auf dem Stein, und fast so einsam wie jener in Acedia versunkene Mönch am Meer, den Caspar David Friedrich in sein Bild baute; als ich zum ersten Mal in die blauen Weiten hinaus blickte wie Kolumbus, versunken in die Grenzenlosigkeit der Ferne, fühlte ich mich erstmals in die eigene erbärmliche Endlichkeit zurückgeworfen - wie beim Anblick des Firmaments und der Sterne. Dieser Locus amoenus, der gleichzeitig ein Locus terribilis wilder Einsamkeit war, ergriff mich so heftig wie kein anderes Naturerlebnis vorher. Die bestimmenden Elemente waren um mich: der Fels, die Flut, der Wind und die glühende Abendsonne, die fast schon versunken war.

Hatte nicht auch Ovid einst hier gestanden? Gerade hier, an dieser Stelle vielleicht – und auf das Meer hinaus geblickt, in Schmerz und Trauer versunken, in Gedanken an den Tiberstrand, an Rom und in Erwartung des rettenden Schiffes aus der Heimat? Hatte er nicht in Verbannung ausgeharrt - wie andere große Geister seiner Zeit, wie Aristoteles, wie Seneca, und vereinsamt abgewartet, zehn volle Jahre lang, in der Hoffnung, doch noch begnadet und erlöst zu werden von einem Herrscher, der gottgleich regierte wie ein Diktator?

Hatte er nicht bis zuletzt gehofft, mit den hier verfassten Zeugnissen des Leidens das Ohr des Augustus doch noch zu erreichen und mit den Tristia gar sein Herz? Das Herz eines Tyrannen, um es zu erweichen und Gnade, Rettung und Heimkehr zu finden?

Hier starb Ovid, ein Dichter der Weltliteratur, in Melancholie und Resignation versunken, weil ein selbstherrlicher Herrscher es so wollte. War nicht auch er damals schon der Willkür eines Diktators unterworfen – wie wir, zweitausend Jahre später, heute? Ovid, der der Heimat Beraubte, der Zwangsexilierte! Hier fand er wohl die Zeit, lange über seine Metamorphosen zu meditieren und über das ungerechte Los der Welt, das auch vor großen Geistern nicht Halt macht, über den Wandel der Werte und die Vergänglichkeit aller Dinge? Seine Epistulae ex Ponto künden davon, von seinen Leiden, seiner Melancholie und seiner Verzweiflung. Krank an Leib und Seele stand er hier und weinte, hinaus aufs Meer starrend. Und er endete auch hier am rauen Meer nach zehnjähriger Verbannung in letzter Einsamkeit, dem Blick der fremden Geten ausgesetzt, die  ihn ehrten, ihn aber nicht verstanden? Vanitas vanitatum vanitas!

Weiter durfte ich mich nicht in diese elegischen Reflexionen hineinsteigern, ohne auch noch der Melancholie zu verfallen, zu der ich als astrologischer Fisch ja disponiert war. Hier, am Wasser, in meinem Element, war ich meinem Wesen nahe - das fühlte ich.

Doch waren wir denn nicht hierher gereist, um das Leben zu genießen und seine angenehmen Seiten auszukosten; um die Sorgen für Tage zu vergessen und einfach oberflächlich in den Tag hinein zu leben? So war es – wir waren jung und noch voller Lebensfreude! Nicht tristes Moll war angesagt, sondern vitalstes Dur.

Die erste Reise ans Meer wurde dann tatsächlich zu einer sehr positiven Etappe, zu einer Zeit vielfacher menschlicher Begegnungen und zu einer Zeit früher Freundschaften. Am Strand lernte ich bald ein rumänisches Mädchen kennen, Camelia, etwas jünger als ich, mit dem ich bald darauf bei Eis und Limonade durch Bukarest schlendern und unerhebliche Gespräche führen sollte, wehmütige Arien aus La Traviata im Ohr.

Jetzt spazierten wir durch den Sand, leicht verliebt, auch ohne Verdi-Klänge Was wusste wir vom Los der Kameliendame, vom Tragischen in der Kunst, von Ovids Elegien? Und was wusste sie von meinen jungen Leiden?

Der Wind strich uns durchs Haar und die Spuren am Strand verrieselten in der Flut. Musste man Spuren hinterlassen im Leben? Oder wurde alles von einem Schleier verdeckt, Glanz und Ruhm und Eitelkeit?

Am Abend geleitete ich sie zu ihrem Hotel; sittlich und brav, in platonischer Distanz, einem Gentleman gleich, der weder genießt, noch darüber spricht.

Tage später traf ich einen echten Seebären in der Haut eines netten Kapitäns zur See aus Nordostdeutschland, einem jovialen, freundlichen Bürger der zweiten Deutschen Republik, der mich, den Fisch, ermutigte tief zu tauchen und dabei beherzt die Augen zu öffnen, damit ich die neue Welt der Tiefe auch erkennen konnte. Hans Hass hatte ein Buch darüber geschrieben, das ich schon verschlungen hatte – der einzige Hass, dem ich etwas abgewinnen konnte. Jetzt zog ich Seewölfe aus der Tiefe. Kamen wir nicht selbst daher? Und wären wir nicht besser dort geblieben? Hoch hinaus und tief hinunter – das entsprach der Existenz, die ich auszuloten gedachte.

Bald darauf begegnete mir ein Unternehmer aus Braunschweig, eine enthusiastische Kämpfernatur, die schon einiges im Leben gewagt hatte und auch erfolgreich war. Er war ein Deutschstämmiger aus Bessarabien, dem noch kurz vor dem Zusammenbruch die Flucht ins Reich geglückt war, mühsam im Wagentreck wie viele andere Flüchtlinge auch. Die Geschichte meines Großvaters war auch seine Geschichte. Und das Dritte Reich bestimmte und beide. Aus der Geschichte gibt es kein Entrinnen, das fühlte ich damals ganz genau. Wir diskutierten über Gott und Vaterland, über historische Gerechtigkeit und Freiheit, über Heimat und Vaterland.

Da er selbst das Los der Auslandsdeutschen kannte und meinen Argumenten emotional wie rational gut folgen konnte, ermutigte er mich, meinen Weg weiter zu beschreiten und konsequent Flagge zu zeigen wie unlängst als Kreuzritter. Die Episode hatte ihm gefallen. Auch hoffte er, mich bald als Gast in Freiheit begrüßen zu können. Leider sah ich ihn nie wieder - wie ich viele andere sympathische Menschen nie wieder sah, die mir einst in frohen Stunden begegnet waren.

Die Tage am Meer waren freudige Momente zwischenmenschlicher Begegnungen, Augenblicke intensivster Kommunikation. Zum ersten Mal lernte ich eine größere Anzahl Ostdeutscher kennen; eine ganze Gruppe von Bürgern aus der Deutschen Demokratischen Republik, also aus einem Staat, den wir eher mit Argwohn und Skepsis betrachteten. Die jungen Leute im Alter von Zwanzig bis Dreißig stammten weitgehend aus dem Raum Halle an der Saale. Sie hatten nahezu die gesamten Ersparnisse eines Jahres investiert, um sich diesen, aus ihrer Sicht schon südlich-exotischen Aufenthalt an der Schwarzmeerküste zu leisten. Es waren allesamt kumpelhafte Charaktere. Gärtner wie Wolfgang aus Helmstedt und Krankenschwestern wie Iris, die im verbrüderten, klimatisch wärmeren sozialistischen Ausland einige südlichere Tage verleben wollten oder lebenslustige, unkomplizierte Fabrikarbeiter wie Klaus, die zum Teil in einem Halleschen Waggonwerk schufteten und dort täglich zusehen mussten wie alles, was sie erwirtschaften, in die Sowjetunion weiter geleitet wurde. Einige von ihnen hatten das Gefühl, Handlanger zu sein, instrumentalisierte Vasallen der Sowjetunion, die, statt des eigenen, den fernen Bruderstaat aufbauten – als ewige Reparationsleistung und aus ideologischer Solidarität heraus. Ihre Arbeit im Betrieb kam ihnen sinnlos vor, und sie wirkten apathisch und demotiviert. Trotzdem feierten sie oft und gern.

Bereits nach wenigen Tagen war ihr nicht gerade üppiges Taschengeld soweit aufgezehrt, dass sie ihre kaum erst erstandenen westlichen Jeans, Shirts und Armbanduhren wieder verhökern mussten, um sich einige der beliebten Mixdrinks an der Bar zu leisten. Ein Karl-Marx-Schein war selbst im sozialistischen Bruderstaat nur ein flüchtiges Phänomen. Und die deutsch-deutsche Teilung war auch dort eine triste Realität.

Besonders schäbig erschien mir der Aspekt, dass den Brüdern aus dem anderen sozialistischen Staat der Zutritt zu Diskotheken verwehrt wurde, nur weil sie nicht mit harter Währung bezahlen konnten. Die Stigmatisierung der Ostdeutschen überall auf der Welt, die bis zur Wende anhielt, blieb auch an der Schwarzmeerküste Rumäniens erhalten. Dessen ungeachtet verstanden wir uns prächtig, saßen oft zusammen und sprachen über Gott und die Welt. Auch über Politik und über Zukunft. Doch im Gegensatz zu uns Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen hatten die meisten dieser netten Menschen, die ich heute noch angenehm im Gedächtnis verbuche, leider politisch resigniert. Sie hofften kaum noch auf die im Westen Deutschlands immer noch angestrebte Wiedervereinigung des geteilten Staates und hatten den Glauben an bessere Zeiten fast schon aufgegeben. Der später aufgenommene Briefkontakt zu einzelnen von ihnen hielt praktisch bis zu meiner Ausreise an, um dann später in der einseitig betriebenen deutsch-deutschen Nichtkommunikation endgültig zu versiegen.

Als ich während eines Abendessens bei gegrilltem Fisch und Weinen aus Murfatlar, zu dem wir alle Freude aus Sachsen und Sachsen-Anhalt geladen hatten, als abschließende Provokation noch das Deutschlandlied anstimmte und angeheitert fromm, frech und frei gleich alle Strophen herunter sang, so wie sie Fallersleben auf Helgoland gedichtet hatte, fiel es den Ostdeutschen sichtbar schwer, mit einzustimmen:

„Aber das ist doch verboten!“ flüsterte mir eine junge Dame ins Ohr. Nur Volker und zwei, drei weitere Burschen stimmten in den Ton der einstigen Kaiserhymne ein – mit den Worten Johannes Robert Bechers: „Aus Ruinen erhoben und der Zukunft zugewandt …“ bis zur Schlusssentenz: einig deutsches Vaterland!“ Doch auch das sollte man nicht mehr singen.

 

Nachwort:

Weshalb schreibt ein Freigeist eine Symphonie?

Gedanken zur Konzeption und Genese eines politischen Buches in künstlerischer Form mit der Gebrauchsanleitung: How to Read

 

Das Ringen um den Wert der Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Die Freiheit, das Leitelement der Humanität, ist der Wert schlechthin, aus dem alles hervorgeht, die Conditio sine qua non der menschlichen Existenz – ohne sie ist wahres Menschsein unmöglich. Das ist eine selbst gemachte Existenzerfahrung. Die Sehnsucht nach Freiheit ist der Motor, der alles antreibt. Um diese Botschaft weiter zu geben, schrieb ich dieses Buch.

Als Präsident Traian Basescu am 18. Dezember, am Vorabend des EU-Beitritts seines Landes, vor das rumänische Parlament trat, um, gestützt auf einen wissenschaftlichen Kommissionsbericht, den mehr als vierzig Jahre herrschenden Kommunismus im Land als illegitim und kriminell zu verurteilen, war dieses Buch bereits geschrieben. Es ist eines von vielen Zeugnissen, die den Mitgliedern der Präsidentenkommission zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien die Möglichkeit boten, ihren Auftrag zu erfüllen; eine jener Biographien individueller Opposition, die in ihrer Gesamtheit auf das Phänomen der Dissidenz verweisen, die es als solches in Rumänien nach der Meinung der Experten überhaupt nicht gegeben hat.

In der wohl repressivsten aller Diktaturen des Ostblocks, wo man noch in den 80ger Jahren während der Zeit von Glasnost und Perestroika für das Anbringen einer Nieder mit Ceauşescu-Losung gleich mit fünf, sechs, ja selbst fünfzehn Jahre Haft rechnen musste, war weder eine systematisch koordinierte Opposition,  noch eine liberale, gesellschaftsverändernde Dissidenz möglich, eben weil dem totalitären Staat Ceauşescus in dem Geheimdienst Securitate ein unüberbietbar repressives Instrument zur Verfügung stand. Möglich waren oft nur verwegene Einzelaktionen, die von mutigen Menschen ausgetragen wurden, von Menschen, die sich, oft um den Preis ihres Lebens, für Ideale einsetzten und für Werte, die heute nur in wenigen Teilen der Welt zu Selbstverständlichkeit gehören: für Freiheit und für Menschenwürde.

Bevor ich mich durchrang, dieses Buch auszuarbeiten, habe ich mir in den letzten fünfundzwanzig Jahren immer wieder die Frage gestellt, ob ich das seit langen angedachte Projekt überhaupt realisieren soll. War mein Testimonium noch notwendig und wichtig? War es sinnvoll, all das, was ich an sozialpolitischen Entwicklungen erlebt hatte, noch einmal wachzurufen?

War es mir selbst gegenüber gerechtfertigt, noch einmal substanzielle Lebensenergie aufzubringen und einige Lebensjahre ausschließlich in ein Projekt zu investieren, das zudem noch finanziert werden musste wie eine Unternehmung?

Weshalb sollte ich mich selbst wieder quälen, alle verschütteten und verdrängten Schrecknisse der Vergangenheit mehrfach wachrufen und - über die bloße Niederschrift hinaus - bei jeder Überarbeitung der Szenen und Kapitel all die alptraumweckenden Prozesse wie Verhör, Folter und Haft erneut erleben, sisyphusartig wie im Bolero als unselige Wiederkunft des Gleichen? Nur um ein Buch über totalitäre Phänomene zu schreiben, wo diese doch bereits an anderer Stelle vielfach ausführlich dargestellt und analysiert wurden? Ein weiteres Buch über eine kommunistische Diktatur, die bereits Teil der Geschichte ist, und in einer Zeit, wo das Ende des Weltkommunismus fast überall schon zu greifen scheint? Die Zweifel blieben bis zuletzt. Und selbst als die tausend Seiten, aus welchen andere vielleicht einen Rougon-Macquart-Zyklus in zehn Bänden gemacht hätten, festgehalten waren, und, den nicht üppigen Schaffensbedingungen zum Trotz, ein Lebenswerk entstanden war, wollten sie nicht weichen.

Kurz vor der Edition der beiden Bände, in die das umfangreiche Werk dann doch aufgeteilt werden musste, fiel mir während des fortgesetzten Quellenstudiums das Zeugnis eines Landsmanns aus Sackelhausen auf, in welchem er die tragische Zeit seiner Existenz und seine Opferrolle zusammengefasst hatte. „1945 wurde ich im Kessel von Budapest von Russen gefangen genommen. Eine halbe Stunde später hatte ich kein Gewehr mehr, keine Uhr und keine Stiefel. Dann ging es für zehn Jahre in die russische Gefangenschaft. In der Zeit habe ich viel gesehen, erlitten und erlebt. Würde ich das alles aufschreiben, wäre es ein ganzes Buch.“ Er beschränkte sich auf die Andeutung der Möglichkeit und schrieb nichts auf – wie neunundneunzig Prozent der Opfer in ähnlicher Situation. Sie nahmen ihr Schicksal hin und  schwiegen, der eigene Vater nicht ausgenommen; sie schützten durch ihr Schweigen die Täter – und sie nahmen dabei in Kauf, dass sich all das Unselige und  Unfassbare, da nicht bewältigt, wiederholt. 

In diesem Punkt wollte ich dagegen halten – als Zeitzeuge und als Augenzeuge, der Entwicklungen und Prozesse erlebt hatte, die zum Teil singulär waren und deshalb schon aus historischen Gründen festgehalten werden mussten wie die Gründung und Niederschlagung der ersten größeren freien Gewerkschaft in Osteuropa.

Darüber hinaus sprachen noch viele andere Gründe und Fakten für die Niederschrift des Zeugnisses, für ein positives Dagegenhalten, für ein entschiedenes Pro - nicht zuletzt die jüngsten makropolitischen Entwicklungen in der freien Welt, wo die Ethik der Nationen, das für alle Staaten verbindliche Völkerrecht, mehr und mehr in die Defensive gedrängt wird! Aber auch die nur dem aufmerksamen Ostbeobachter auffallende Erkenntnis, dass im schon niedergerungen geglaubten, einstigen Reich des Bösen die Stalin-Statuen wieder aus der Mottenkiste geholt und auf die Podeste russischer Städte gestellt werden. Ein Menschheitsverbrecher der Sonderklasse wird wieder einmal retuschiert und als historische Persönlichkeit verklärt – wie im gleichen Atemzug damit eine anderswo als illegitim und kriminell verurteilte Ideologie des Klassenkampfes eindeutig rehabilitiert wird.

Waren die großen Verbrechen, die scheinbar präventiv in Interesse des Vaterlandes begangen wurden, doch nicht so schlimm? Große Individuen, aber auch reine Machtmenschen in entsprechender Position und mit Macht ausgestattet, können das Rad der Geschichte beschleunigen. Und sie können auch das gleiche Rad zurückdrehen und den Status quo ante wieder herstellen. Kommt das bald auf uns zu?

Das Gespenst lebt noch und ist quicklebendig wie die schon tot geglaubte Securitate. Solange auf unserer Erde ein Großteil der Menschen in Armut und Elend verharren müssen, wird das Gespenst des Kommunismus weiter umgehen; und mit ihm wird die Forderung: Proletarier aller Länder vereinigt euch uns allen erhalten bleiben.

Während im Westen die Erinnerungen an das, was der diktatorische Kommunismus in Osteuropa war, bereits verblasst, müssen ganze Kontinente nach wie vor in totalitären Verhältnissen und unter autoritären Systemen leben - in Diktaturen, die, von starken Führerpersönlichkeiten durchgesetzt, jederzeit überall wieder möglich werden können, selbst in hochkultivierten Nationen, in Völkern von Dichtern und Denkern, wenn das Bewusstsein der Bürger dies zulässt. Freiheitliche Völker und Staaten stützen heute aus Gründen der Staatsraison und von realpragmatischen Überlegungen ausgehend menschenverachtende Diktaturen in Afrika und Asien, statt prinzipiell an den wankelmütig erscheinenden, jungen Demokratien festzuhalten.

Makropolitische Fehlentwicklungen beginnen oft mit Fehleinschätzungen im Kleinen, weil Prinzipien leichtfertig aufgegeben und wie unnützer Ballast von Bord geworfen werden. Schließlich konnte auch ich mehr als fünfundzwanzig Jahre hindurch staunend selbst beobachten, wie historische Wahrheiten, die ich konkret miterlebt hatte, vergessen und ignoriert wurden; wie Tatsachen, die meine Existenz mitprägten, ganz oder partiell entstellt und somit verfälscht wurden, selbst in der sonst so gründlichen Wissenschaft.  Und ich durfte mit verfolgen wie manches zwischen Dichtung und Wahrheit angesiedelte politische Thema in belletristischen Fiktionen sogar auf den Kopf gestellt und ad absurdum geführt wurde. Doch Ignoranz und Vermengung von Wahrheit und Fiktion sind Irrwege, Holzweg, der in die Sackgasse führen, wenn nicht gar ins Nichts.

Jeder Wertezerfall, und wir erleben heute einen dramatischer Zerfall von Wertstrukturen, hat auch sozialpolitische Auswirkungen. Gerade deshalb muss der Philosoph in Erscheinung treten und dort ansetzen, wo Dichter wie schon seit Platons Zeiten mehr oder weniger bewusst lügen, indem er aufklärt und widerspricht, eben weil er nicht selbstverliebt dichtet, sondern verantwortungsvoll denkt, indem er nicht die Freiheit der Dichtung beschneidet, sondern ihre Grenze aufzeigt, damit nicht der Mythos zur Wahrheit wird.

Nach meinem Weltverständnis ist es eine Bürgerpflicht und eine Pflicht vor der Welt, dort aufzuklären und zu widersprechen, wo Täuschung, Heuchelei und bewusste Verfälschung den Blick auf die Wahrheit verstellen, auf die historische, politische und existentielle Wahrheit; vor allem dann, wenn die Mittel gegeben sind, den Kraftakt zu schultern. Das eigene Gewissen, das ein Vierteljahrhundert nicht schweigen wollte, drängte mich schließlich, eine durch Skepsis, Lethargie und Schwäche vor mir her geschobene Aufgabe zu Ende zu bringen, einem Gelübde gleich, das man sich selbst auferlegt hat – doch nicht die Eitelkeit, selbst noch einmal im Rampenlicht stehen zu wollen. Dazu hatte ich damals, 1981, als ich als Sprecher der Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLOMR von Genf aus die Klage der Vereinten Nationen gegen das Regime von Diktator Ceauşescu mit auf den Weg brachte, ausreichend Gelegenheit, allerdings ohne davon Gebrauch zu machen.

Schrieb ich dieses Buch auch aus solipsistischen Gründen, um über einen reinigenden Prozess, über eine Katharsis die Vergangenheit endgültig ad acta zu legen und um letztendlich psychisch zur Ruhe zu kommen, weil eine bewusste Verdrängung dies nicht schafft? Oder aus der Sicht des moralisierenden Besserwissers? Keinesfalls! Die Symphonie der Freiheit und ihr zweiter Band Gegen den Strom entsprechen weder der Emanzipationsbestrebung eines prometheischen Sisyphus, der irgendwann von Überdruss und Ekel bedrängt den Fels, den er den Berg hinan schiebt, von sich stößt, um, der Last des Schicksals entledigt, endlich befreit aufzuatmen; noch verkörpert das die Sicht des Weisen, der sich im Besitz der Wahrheit weiß. Das Dokumentieren realsozialistischer Wirklichkeiten entspringt primär pflichtethischen Überlegungen, die bescheiden darauf abzielen, von Hass und Hetze ausgelöste totalitäre Bedingungen künftig verhindern zu wollen. Das Wehret den Anfängen mahnender Seher motivierte auch mich.

Meine Symphonie der Freiheit wurde von moralischen Impulsen ausgelöst und wird von historischen Notwendigkeiten geleitet und bestimmt, die über das individuelle Geschick, über die Existenz des Berichtenden, hinausgehen. Sie waren konzeptionsprägend und formbestimmend.

Als sich vor zwei Jahren – mitten in einer existentiellen Krise – plötzlich die Chance bot, das lange hinausgezögerte Projekt in Angriff zu nehmen, nutzte ich die Gunst des Augenblicks, von dem ich nicht wissen konnte, ob er wiederkehrt, und brachte mein Testimonium zu Papier, aufgewühlt und eilig und nicht gleich im Einklang mit meinem ästhetisch-literarischen Anspruch. Ein Lebenswerk braucht Zeit, Muse und Einkehr – alle Faktoren, die mir nicht zur Verfügung standen. Doch die Notwendigkeit, Fakten darzustellen, wog schwerer.

Bestärkt von Freunden, die immer wieder zur Aufnahme der Dokumentation gedrängt hatten, hämmerte ich mein Zeugnis in den Computer, wohl wissend, dass solche Phasen rar sind in Leben und günstigere Schaffensbedingungen wohl nie mehr auftreten werden. Die trügerische Hoffnung darauf, die politisch-historische Wissenschaft werde ihre Hausaufgaben erledigen und die Dissidenzthematik in Rumänien aufarbeiten, falsche Bescheidenheit und die Selbstachtung, die es mir untersagte, am Portal der Publikumsverlage antichambrieren zu müssen, waren verantwortlich dafür, dass mein Zusammenklang der Ideen in Worten früher realisiert werden konnte.

Der ersten Textfassung, die, gemessen am Endprodukt, nur ein Entwurf war, folgten sieben Überarbeitungen mit Ausweitungen und Differenzierungen, wobei deutlich wurde, dass Prioritäten gesetzt und nicht alle Themen ausführlich und vertieft dargestellt werden konnten. Erfreulicherweise fand die frühe Fassung des Textes bereits in Frühling 2006 die wohlwollende Anerkennung der Experten, namentlich von Professor Stefan Sienerth und seinen Wissenschaftskollegen vom Institut für südosteuropäische Kultur und Geschichte, IKGS, eine Institution, die das Projekt schließlich über die Gewährung eines Druckkostenszuschusses auch materiell gefördert hat. Für beide Formen der Unterstützung, ohne die eine rasche Umsetzung des Projektes kaum hätte möglich sein können, bin ich außerordentlich dankbar. Ebenso danke ich für die begeisterte Akklamation meiner Testleser aus zwei Generationen, die mich auf ihre Weise ermutigten, das Werk an die Öffentlichkeit zu bringen.

Mit der Niederschrift meines Erlebnisberichts, der keine vollständige Lebensbeschreibung sein will und kann, sondern nur ein zweckdienlicher Extrakt daraus, ein Auszug, der weitgehend das wiedergibt, was von öffentlichem Interesse ist, melde ich mich als Zeitzeuge zurück, als ein Mitgestalter politischer Umbruchprozesse, der sich fragend der Vergangenheit stellt.

Was geschah damals unter bestimmten Bedingungen in Temeschburg, in Bukarest? Und weshalb geschah es gerade so? Wie war es wirklich? Was ist Wahrheit, und was ist Mythos? Vielleicht wirken meine Aussagen wie der Bericht eines Überraschungszeugen im Gericht, der unerwartet aus der Versenkung auftaucht, der dem Prozessverlauf eine neue Wendung gibt und dessen Faktendarstellungen dazu führen, dass die wahren Schuldigen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen und verurteilt werden; dessen Zeugnis aber zumindest ausreicht, um das, wozu er Position beziehen kann, in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, um veränderte Perspektiven oder einige neue Aspekte hinzuzufügen, damit die über die Neubewertung die Gerechtigkeit ihrem Lauf nimmt und lange noch nicht abgeschlossene Vergangenheitsbewältigung und der Versöhnung möglich werden.

Viele Kernaussagen von Zeugen der Geschehnisse objektivieren historische Entwicklungen. Die Aufarbeitung einer schwierigen Vergangenheit ist nur dann möglich, wenn ihre Abläufe authentisch rekonstruiert, dokumentiert und im Dialog der sozialen Schichten oder der involvierten Völker untereinander erörtert werden.

Wie es einer staatbürgerlichen Pflicht entspricht, eine Straftat anzuzeigen, von der man erfährt, entschied auch ich mich – über das Gewissen hinausgehend und aus einer Ethik der Pflicht heraus - nicht weiter zu schweigen wie der eigene Vater, der nichts von den fünf Jahren seiner Deportation nach Kriwoj Rog preisgab, sondern über bestimmte Erlebnisse so wahrhaftig und vollständig wie möglich zu berichten. Andere politisch-geistige Vorbilder waren mir dabei vorausgegangen.

Solschenizyn hatte über den siebten Kreis der Hölle berichtet und über das Inferno selbst, über die Strafkolonien des Gulag und das große Völkergefängnis Sowjetunion. Paul Goma, einer der wenigen kommunismuskritischen Schriftsteller Rumäniens, schrieb über Gherla und andere rumänische Gefängnisse. Als Temeschburger und Banater Schwabe hatte ich andere Dinge erlebt, aus anderer Sicht, Phänomene, die nicht zu verschweigen waren. Und als glücklich Entsprungener schuldete ich dies den Opfern, denen keine Stimme gegeben war, zu reden.

Das Schweigen des Philosophen hätte in meinem Fall nur ein Decken der Täter bewirkt. Wo es das Gewissen der Welt nach historischer Wahrheit verlangt, ist Silber wichtiger als Gold. Denn zum falschen Zeitpunkt schweigen bedeutet Billigung der Schandtaten. Wo die starre Verweigerung bestimmt, sind destruktiven Legendenbildungen und Mythisierungen weiterhin Tür und Tor geöffnet.

Die vielen Straftaten, ja Verbrechen, von denen ich auf meinem Weg in die Freiheit erfuhr, dürfen nicht ungesühnt der Anonymität verfallen, weil sie, einmal durch die Nichtahndung belohnt, wiederkehren und das gleiche Unheil anrichten wie vorher. Solschenizyn sah die Dinge so, Sacharow, Havel, die polnischen Dissidenten um Michnik und Kuron, Paul Goma viele Andersdenkende und Menschenrechtler aus der DDR und nicht zuletzt auch ich selbst. So lange die Oppositionsprozesse, hinter welchen sich Menschschicksale verbergen, nicht dokumentiert, vielfach gespeichert und verbreite waren, konnte ich nicht ruhig schlafen. Die verschwiegene Untat von gestern ermöglicht das Konzentrationslager von morgen.

 

Die in der Symphonie der Freiheit und in Gegen den Strom geschilderten Abläufe und Phänomene sind keine Kopfgeburten, keine Kreationen eines phantasiebegabten Dichterhirns, der surreale Welten schildert, weil er mit der realexistierenden nicht klarkommt. Sie entstammen nicht der Perspektive eines Voyeurs, der von sicherer und saturierter Warte aus über Zeitungen, Zeitschriften, über Radio und Fernsehen und heute auch über neue Medien und das Internet  Sachen aus der Ferne beobachtet und bestimmte Phänomene, die er nur vom Hörensagen kennt, thematisiert. Die von mir präsentierte Erlebniswelt entstammt der Sicht des Handelnden, der ein Teil des Geschehens war und dieses aktiv beeinflusst hat – und der, im Gegensatz zu vielen, die Ähnliches und viel Schlimmeres erlitten hatten, über die geistig sprachlichen Möglichkeiten verfügt, wenigstens etwas von den menschenunwürdigen Schrecknissen der Jetztzeit festzuhalten.

Die Symphonie der Freiheit ist das Werk eines langjährigen Dissidenten, das die Sichtweise eines Andersdenkenden transportiert, der sich an tatsächlichen Wahrheiten orientiert, nicht an Fiktion.

Ein Aufklärer nach der Aufklärung, ein Philosoph der Jetztzeit, schreibt anders als der verspielte Ästhet, auch ohne den moralisierenden Zeigefinger zu erheben – und ohne dabei unliterarisch schreiben zu müssen.

Historische, politologische, psychologische und philosophische Kapitel oder Passagen können – vom aufmerksamen Leser gut von einander zu unterscheiden – durchaus als eigenständige Betrachtungen, Analysen und Essays neben rein literarischen Texten stehen. Die zu vermittelnde Botschaft ist dabei wichtiger als die Form.

Deshalb setzt mein Erinnerungswerk nicht auf Selbstmythisierung, dies wäre vor dreißig Jahren inszenierbar gewesen, sondern auf die Authentizität der Ereignisse und faktischen Abläufe sowie auf die phänomenologische Beschreibung selbst gemachter Erfahrungen auf unterschiedlichen Ebenen. Das entspricht dem sachlichen Anspruch dieses Werkes. Insofern ist das Dargestellte der Bericht eines Zeit- und Augenzeugen, der durch die Präsentation von objektiven Gegebenheiten aus fünf intensiven Jahren über historisch-politische Spiegelungen einen fünfzigjährigen Abschnitt neuester Zeitgeschichte, was der Lebenszeit des Autors gleichkommt, einzufangen sucht. Die vom Gehirn bereits stark zusammen komprimierten Jahre 1976-1981 mussten wieder auseinander gezogen und im Detail rekonstruiert werden, wobei die damalige Sicht der Dinge – mit alle ihren Vorurteilen und unreifen Unzulänglichkeiten – herüber gerettet werden sollte. Das Gehirn erinnert sich und leistet diesen Akt, wobei der Autor, das braucht kaum betont zu werden, natürlich mit seinem gegenwärtigen Geistesinstrumentarium agiert.

Dem Wirklichkeitsnahen und somit einer empirisch objektivierbaren Wahrheit wird dabei Priorität vor dem ästhetisch-literarischen Komplex eingeräumt. Der Verfasser der Symphonie der Freiheit beschreibt einzelne Phänomene zwar auch literarisch – und er erklärt Phänomene, wo es notwendig erscheint, auch in abstrakter Metadiskussion, Phänomene, die nur aus der Perspektive des Insiders, aus dem inneren Erleben der Wirklichkeit und der inneren Schau heraus thematisiert werden können. Doch auch dieses Vorgehen entspricht der Methode des philosophischen Schriftstellers, der in seinem Zugang anders gewichtet und anders wertet als weniger existentiell orientierte Autoren.

Wer die einzelnen Kreise der Hölle noch nicht verspürt hat, kann leicht über den Teufel mit der Mistgabel spotten. Doch wer den Schmerz des Stiches in seinem Allerwertesten fühlte, den Gummiknüppel auf der nackten Fußsole und den Rücken, wer in Ketten strampelte und Dinge erdulden musste, die die Grenzen des Menschsein aufzeigen, der wird die Welt mit ernsteren Augen sehen, bewusster, existentieller und moralischer. Er wird anders werten und fühlen. Schmerz hat viel mit Wahrheit zu tun. Wer politisch-soziale Wirklichkeiten in ihrer Negativität erlebt hat, wird notwendigerweise anders Dinge analysieren und beurteilen als unbefangene Betrachter, kritischer und schonungsloser. Das Ethos hat für ihn einen anderen Stellenwert eben weil es existentieller Natur ist.

Wer an der Humanität festhält, und in diesem Punkt wiederhole ich mich gern und mit Leidenschaft, darf tatsächliche Abläufe der Geschichte nicht sorglos unterschlagen. Die Fakten müssen ausformuliert und schriftlich fixiert werden als Beitrag zur objektiven Wahrheitsfindung, der sowohl der regen und lange noch andauernden Vergangenheitsbewältigung der involvierten Völker als auch der künftigen Historiographie dient.

Damit ist das objektive Anliegen der Symphonie der Freiheit definiert – ein Ziel, das natürlich bis zu einem gewissen Grad auch in einem unliterarischen, nüchtern analytischen Tatsachenbericht hätte erreicht werden können. Hätte ich ihn trocken und distanziert verfasst, wäre daraus ein politologisch- gesellschaftskritisches Sachbuch geworden – wieder ein Buch für ein paar Fachleute aus der Wissenschaft und einige interessierte Laien. Dazu drängte es mich nicht. Ganz im Gegenteil!

Wenn ich mich gegen eine rein wissenschaftliche Fassung und für eine freie literarische Form entschieden habe, dann geschah dies nicht nur aus der Enttäuschung an der allzumenschlichen Wissenschaft, sondern nicht zuletzt aus literarisch-ästhetischen Überlegungen heraus und aus dem starken Impetus, auch im Künstlerischen andere und neue Wege gehen zu wollen.

Weshalb sollte ich ein konventionelles Werk verfassen, wenn ich gleichzeitig ein freiheitliches Buch zu schreiben bereit war, ein Buch, das vielleicht doch nicht so verrückt ist, wie es beim ersten Anblick anmutet?

Nur weil die Verlagswirtschaft zwischen Belletristik und Sachbuch oder Fachbuch einen Gegensatz konstruiert, der in Wirklichkeit nicht da ist? Einen Gegensatz, den das wahrhaftig belletristische Werk aufhebt. Nicht-Fiktion, sprich Wirklichkeit, muss nicht als Antithese zur Fiktion erscheinen. Nichtfiktion, also Faktisches aller Art in ästhetisch anspruchsvoller Form, ist der Gegenstand der Belletristik, der schöngeistigen Literatur, überhaupt. Eben deshalb entschloss ich mich in meiner Symphonie der Worte, das – streng typologisch gewertet – tatsächlich ein belletristisches Werk ist, gegen die Monostruktur und für die komplexere Darstellungswiese der von mir erlebten Wirklichkeiten.

Neue Wege in der Kunst – bis hin zum avantgardistisch Forcierten, das in eine Sackgasse führt, stießen immer wieder auf den Widerstand der Krämerseelen. Trotzdem war ich überrascht, auch heute noch die gleiche Renitenz, Starrheit und Unflexibilität in den Verlagsetagen vorzufinden, wenn es um die Durchsetzung einer etwas nonkonformistischen Konzeption ging. Der künstlerisch angehauchte Dissident, der immer schon opponiert hatte, sollte sich endlich zusammen nehmen und im Stil des Oberlehrers schreiben! Und dies nur deshalb, weil Vermarktungsgepflogenheiten und Geschäftspraktiken in der Buchwirtschaft dafür sprachen.

Was ist aus der Freiheit der Autoren geworden? Im krassen Gegensatz zum Schubladenden kommerziell ausgerichteter Publikumsverlage, die ein Editionsprojekt nur noch danach beurteilen, ob damit eine hohen Auflagenzahl erreicht werden kann, entschied ich mich für ein eigenständiges Buch, fest entschlossen, die freie Konzeption bis zum Ende durchzusetzen, auch auf die Gefahr hin, das Projekt selbst verlegen zu müssen. Mit Goethe, Schiller und Nietzsche, um nur einige der ganz Großen zu nennen, wäre ich damit in guter Gesellschaft.

Einst, als es noch Verlegerpersönlichkeiten gab und Verlage noch eine geistige Mission erfüllten, wurden auch noch Bücher verlegt, obwohl keine hohen Verkaufszahlen zu erwarten waren – nur so, aus Prinzip und um der Sache willen. Doch heute, wo Werte nur noch in den Sonntagsreden versierter Politiker vorkommen, sind auch diese Zeiten längst vorbei.

Die Symphonie der Freiheit in starrer Form? Undenkbar!

Weshalb entschied ich mich ausgerechnet für eine freie Form - und dazu noch in Anlehnung an die Musik? Weshalb wurde alles gerade so umgesetzt?

Vielleicht weil im Verfasser auch ein verkappter Komponist steckt, ein Geist, der seine Themen, Motive, Allegorien und Symbole nach Strukturen arrangiert, die freiheitliche Momente implizieren, nicht nach dem fixen Schema einer Fuga?

Vielleicht, weil in ihm ein kreativer Koch steckt, der neuen Wein in neuen Schläuchen reicht, der antike Rezepte frei moduliert, um den Gaumen anderer Leute feststellen zu lassen, was daraus emaniert?

Die freie Form mit unterschiedlichsten Geschichten für die unterschiedlichsten Leser – und, dies betone ich für taube Verlegerohren, das können durchaus viele sein – eröffnet im Gegensatz zum kühlen Tatsachenbericht, nicht nur dem Autor vielfache geistig-künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten. Auch der Leser, der nicht dumm ist, kann sich das Gesamtwerk oder auch nur Teile daraus im freien Zugang erschließen.

Ein durchaus ernster Stoff wird dabei in zugänglicher Weise vermittelt – vielfach auch mit einer humoresken Note. Der Interessierte soll nicht nur traurig werden und der Melancholie verfallen, wenn er darüber liest, was Menschen Menschen antun und was die Bestie im Menschen ausmacht. Er soll auch schmunzeln können, wenn er hier blättert und liest. Trotzdem entspricht dieses Werk dem Pflichtprogramm, wo die Grenzen von Spott und Lachen erkennbar sind. Die Kür, wo das erlösende und lösende Lachen im Vordergrund steht, folgt noch – und zwar in einer satirisch-parodistischen Humoreske, die mehr ist als nur ein Splitter oder Nebenprodukt aus dem Hauptwerk. Es ist die sublimierte Essenz daraus, sie poetisch- philosophische  Extraktion, die literarisch wie lebensphilosophisch Wege geht, die ihm Hauptwerk nur angedeutet werden konnten. 

Ohne die gelegentlichen Ausflüge in den literarisch-künstlerischen Bereich, ins Poetische und Musikalische, in die Welt der Schöngeistigkeit, hätten eine Reihe aus dem reellen Kontext heraus beschriebener Phänomene philosophischer und psychologischer Natur nicht in ihrer vollen Tragweite und Tiefendimension erörtert und beschrieben werden können. Bestimmte existentielle Phänomene wie Grenzerfahrungen, Ängste, Melancholie, die sonst nur akademisch abstrakt diskutiert werden, ohne die Menschen zu erreichen, werden im Handlungsprozess in ihrer Entstehung exponiert, um ihr Verständnis zu ermöglichen. Das ist ein weiteres Anliegen des literarisch agierenden Philosophen, der die Philosophie über die Kunst aus den steril abstrakten Hallen der Akademie herausführen will – hin zu den Menschen.

Was hier in der relativ kurzen Zeit von zwei intensiven Arbeitsjahren entstand - unter Bedingungen, die so waren, wie sie waren – will ein, modern gesprochen, interaktives Buch sein; ein Buch der Neuzeit, das, fern vom Elfenbeinturm, im Dialog mit dem Leser steht und entsteht; ein Werk, das noch nicht fertig ist, vielleicht auch nie fertig wird, sondern immer Fragment bleibt – vielleicht aber auch weiter geschrieben wird, wenn der Leser mir dies signalisiert und bessere Schaffensbedingungen es ermöglichen.

Ferner behalte ich mir vor, nachdem nun die dokumentarische Leistung erbracht ist, in einer zweiten Auflage einige Sätze der Symphonie frei auszubauen und andere wegzulassen. Vielleicht entsteht dann ein noch freieres Buch, dass noch weniger in die engstirnig kommerziellen Raster der Verlage passt als dieses hier.

Die Freiheit selbst hat den Charakter meines Werkes diktiert und seine Form weitgehend mitbestimmt. Sie ist organisch aus der Materie erwachsen und eben so, weil ein Autor, der freie Wege geht, auch in Kunst und Geist, sich keiner Zensur unterwerfen darf – weder der Zensur des Formalen, das nicht einmal literaturwissenschaftlich definiert werden kann, noch der Zensur des Kommerziellen, die von einer Handvoll Verlage diktiert wird und sich als Verhinderung eines Buches  auswirkt wie die vielen Monopole in der arg beschränkten freien Marktwirtschaft, die sich selbst ad absurdum geführt hat. Ein freies Buch ist immer auch ein Experiment.

Viel lieber hätte ich anders über das große Thema Freiheit geschrieben, nur aus der Sicht des schaffenden Subjekts heraus, des Künstlers, des verdichtenden Tonsetzers und gaumenfreudig komponierenden Musikers; mit anderen Akteuren als den Bestien, die ich in der Darstellung nicht ignorieren konnte und darstellen musste, weil sie integranter Teil des Geschehens waren und die historische Materie auch jenes so vorgegeben hat.

Aber schon deshalb ist dies ist kein selbstgefälliges Art pour L’art- Projekt, das im entrückten Elfenbeinturm entstand – und, selbstverliebt um sich kreisend, einmal in die Welt geschickt, seinem Schicksal überlassen wird. Es ist vielmehr ein politisches Buch, das rezeptionsorientiert geschrieben wurde, also für den Leser, obwohl die Konzeption eine freie ist, die eine formale Trennung zwischen schöngeistiger Literatur und sachlicher Abhandlung nicht akzeptiert.

Wissenschaft, das wussten schon die Populärphilosophen seit Sokrates und alle großen Dichter, muss nicht immer trocken sein und menschenfern. Literarischer Avantgardismus und pragmatischer Nutzen müssen sich nicht gegenseitig aufheben!

Das Werk ist gerade so geschrieben worden, weil es den potentiellen Leser angeht, weil es manche aus der Leserschaft, die Teile der Wegstrecke mitgegangen sind, unmittelbar betrifft. Auch soll die Sache andere Interessierte angehen, Menschen ohne Vorwissen und den nahen und doch so fremden Raum vor der eigenen Haustür.

Die Symphonie in zwei Bänden ist in mancher Hinsicht ein modernes Werk, ein assoziatives Buch mit Wechselwirkung, das von den neuzeitlichen Informationsmöglichkeiten ausgeht und diese auch genutzt hat.

Die nicht immer einfache Symphonie der Freiheit mit ihren wandelnden Perspektiven und Wahrheiten appelliert an ein vernetztes Denken, an ein enzyklopädisches Bewusstsein, das heute durchaus noch aufrecht erhalten werden kann, wenn man das humanistische Bildungsideal noch nicht gänzlich aufgegeben hat. Beide Bände richten sich an einen anspruchsvollen, assoziativ kombinierenden Leser, der mehr von der ihm noch unvertrauten Welt eines europäischen Nachbarn erfahren will, viel mehr und Tieferes als es ihm die gängig geschilderte Story eines zeitgemäßen erotischen Romans bieten kann. Mein Werk richtet sich an einen Geist, der an interdisziplinären und interkulturellen Zugangsformen Freude hat, ohne aber nur für die happy few, für eine Handvoll Intellektuelle, geschrieben worden zu sein.

 

Einzelne Kapitel, eigentlich wissenschaftliche Aufsätze, die, um der Lesbarkeit willen, nicht mit einem Berg von Quellenangaben und Fußnoten überhäuft wurden, haben einen intensiven Forschungsaufwand erfordert. Die einzelnen Essays ebenso.

Trotz fehlender Fußnoten wird die strenge Sicht des Wissenschaftlers nicht aufgegeben. Ausgewählte Quellenangaben und Literaturhinweise erfolgen im Text. Damit ist auch dieses Werk ist, konventionell gesprochen, in wesentlichen deskriptiv analytischen Partien auch ein Sachbuch, allerdings in literarisch-künstlerischer Einbettung und mit entsprechenden künstlerischen Freiheiten, die jeder Geist zu würdigen weiß. Es folgt damit dem freien publizistischen Ansatz eines Essays, einer literarisch-wissenschaftlichen Gattung, die in Frankreich immer schon bevorzugt wurde, und setzt auf den unverkrampften Stil des Hommes des lettres, der sich wohltuend vom verstaubten Professorenduktus abhebt, und der, frei von vielen Zwängen, sich im künftigen Europa sicher durchsetzen wird. Leichtigkeit und Zugänglichkeit genießen Priorität, während auf das literarische Experiment in nuce weitgehend verzichtet wurde.

Ein Franzose, selbst der Akademiker, würde mein schlichtes Ganzes einen umfangreicheren Essay nennen – eine Weltbeschreibung in freiartistischer Form, ohne nach engen Gattungstypologien und eingrenzenden Begrifflichleiten zu fragen.

Um der Wissenschaftlichkeit zu genügen, die den eigenen Blick bestimmt und den Anspruch, die Materie zu erörtern, ist mein umfangreicherer Essay mit vielen Gesichtern also auch methodenpluralistisch und interdisziplinär ausgerichtet - und stilistisch so geschrieben, weil gerade diese Art der geistesgeschichtlichen Beheimatung des Autors und seinem Literaturverständnis entspricht. Politologisch-historische Passagen analytischer Art im wissenschaftlichen Duktus gehalten stehen neben literarischen Abschnitten oder psychologisch-philosophischen Betrachtungen und Beschreibungen, weil die Struktur der Symphonie der Freiheit dies als bescheidenes Gesamtkunstwerk erfordert.

Wird der Leser mit dem scheinbaren Chaos, in welchem trotzdem Ordnung herrscht, fertig werden? Das fragen skeptische Verleger. Doch hier irrt die Verkaufszahlen-Empirie. Der Leser ist gescheiter und gewandter in der Rezeption, als es ihre Verlagsweisheit ahnen lässt.

Kursivschrift wird als mildes Gestaltungsmittel eingesetzt. Ohne penetrant oder gängelnd wirken zu wollen, werden jene Begriffe kursiv hervorgehoben, über welche der Leser – über das Zitat hinaus – etwas vertiefter nachdenken sollte, wo er bei der Lektüre innehalten, reflektieren und meditieren kann. Ferner werden offene Strukturen abgedeutet, die dort entstehen, wo kein gängiges System greift.

 

Diese zunächst dokumentarisch-analytisch konzipierten Erinnerungen, die ich allerdings nicht mehr Memoiren nennen will, nachdem ich in einer Hausbibliothek mit zwölf Büchlein die Lebensbeschreibung einer Prostituierten unter gleichem Titel vorfand, entwickelten sich im Verlauf der Ausarbeitung mehr und mehr zu einem belletristischen Werk, in welchem, neben der politisch und historischen Sachdiskussion, die der Materie immanent ist, zunehmend die individuelle Form eines eigenen literarischen Stils in den Mittelpunkt trat.

Autobiographische Skizze, Erzählung, Reflexion und Essay als eigenständige Einzelkreation formen zusammen genommen hermeneutisch gesprochen ein Ganzes, das kein Ganzes sein will, weil es offen bleibt, ein kleines Universum, in welchem sich die Einzelkomponenten verhalten wie der Mikrokosmos zum Makrokosmos. Die einzeln antizipierten Phänomene werden im Ganzen noch erweitert und vertieft.

How to read? Das fragte Ezra Pound einst, als er über Sinn und Unsinn von Literatur nachdachte.

Doch gibt es eine Anleitung, Bücher zu lesen, ohne seine Zeit zu vergeuden? Vielleicht! Als all dies niedergeschrieben wurde, hatte ich die wertvolle Zeit des Lesers nicht ganz vergessen. Deshalb schrieb ich oft in nuce – und oft leider mit gezogener Handbremse, wobei ich nur etwas von der Welt, die ich beschreiben wollte, einfangen konnte. Balzac und Zola, Thomas und Heinrich Mann sowie ein paar andere Romanciers, die nur Schriftsteller sein durften, hatten mehr Raum und Zeit.

Gehetzt schrieb ich gegen Hetze und für symphonische und symphilosophierenden Zusammenklang und angstgetrieben, die Aufgabe nicht adäquat bewältigen zu können. Dabei schrieb ich höchst ungern in der oft unvermeidbaren Ich-Form. Nicht die moderne Romantheorie, nur die innere Wahrhaftigkeit legte mich auf die Ich-Perspektive fest.

Und, was die objektive Glaubwürdigkeit meiner Aussagen angeht, halten sich noch andere Zeitzeugen bereit, Menschen mit gutem Gedächtnis, die bestätigen können und dementieren. Wir opponierten seinerzeit nicht im luftleeren Raum, noch im Verborgenen und auch nicht in der Scheinwelt des Algabal.

Der Leser wird selbst entscheiden, ob er der Beschreibung tatsächlicher Wirklichkeiten mehr vertraut als surrealer Fiktion; und ob dieser Stil ihn mehr anspricht oder eine andere Art, Wirklichkeiten und Zerrbilder zu Literatur zu machen.

 

Ein freies und offenes Buch – und die Symphonie der Freiheit ist ein freiheitlich offenes Buch - wird dem Leser keine Zwänge auferlegen. Er muss nicht alles lesen, um eine andere Welt kennen zu lernen – und Phänomene, die nur aus dem Detail hervor scheinen. Der werte Leser kann in freier Selbstbestimmung das Werk irgendwo aufschlagen und in den Geschichtlein und Geschichten, über Geschichte und Zeit, über Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, mit Einblicken in die Welt, in der wir wirklich leben – und dort mit dem Lesen beginnen, wo es ihn lockt, neue Dinge zu erfahren, vor allen neue Gedanken und ungewohnte Assoziationen von Ideen.

Wenn es ihm gefällt, was es liest, kann er an anderer Stelle weiter lesen. Von hinten nach vorn – oder nur das Inhaltsverzeichnis, wie ich es selbst oft praktiziert habe; oder einzelne Kapitel aus dem weiten Geschehen als Anregung oder kurzweilige Entspannung.

Er kann aber auch ganz gewöhnlich lesen wie seit Jahrtausenden im Abendland - von Alpha bis Omega. Dann wird er viele unterschiedlich gestaltete Einzelteile vorfinden, Sujets teils mit Substanz, die im inneren Zusammenhang stehen, doch nicht im System angeordnet, sondern in der offenen Struktur; Texte, die allesamt auf ihre Weise das Hauptphänomen Freiheit umkreisen und darlegen, wie vielfältig sich die Reflexionen dieses Begriffes allein in der deutschen Sprach gestalten.

Oder er kann sich anderen Erscheinungsformen der Freiheit widmen, Epiphänomenen und Emanationen der Freiheitsidee, der Humanität, der Wahrheit, der Identität und der viel verpönten Heimat.

Er wird ein farbenfrohes Mosaik vorfinden, eine bunte Welt der Worte, viele Splitter, die sich zu einem offenen Ganzen formen, zu einer größeren, noch nicht abgeschlossenen Lebensgeschichte mit dramatischen und mit tragischen Komponenten, doch mit einem vorläufigen Happy End.

Er wird schlicht vorgetragene Erinnerungen vorfinden, bescheidene Aufzeichnungen, die sich zum einem fragmentarischen Lebensroman zusammenfügen, zu einem autobiographischen Roman, der literaturtheoretisch bewertet nur bedingt einer ist. Das Buch ist vielmehr eine realistisch gehaltene Zeitstudie, die zwar nicht die gesamte Existenz einfängt, aber repräsentative Teile daraus in einer bestimmten Zeit, wobei möglichst viel von der damaligen Erkenntnisweise herübergerettet werden soll – die Perspektive eines jungen Menschen in der Revolte gegen eine selbstherrlichen Staat.

Dargestellt werden allerdings nur jene biographischen Abschnitte, die zur Erklärung von Dissidenz und Widerstand notwenig sind. Dabei erschließt sich dem Leser das Psychogramm einer Diktatur.

 

Die Kerngeschichte der Symphonie der Freiheit und des zweiten Teils Gegen den Strom – Deutsche Identität und Exodus, der Weg eines Jugendlichen aus dem Banat in die Auseinandersetzung mit einem totalitären Staat und das unfreiwillige Hineinschlittern in die Dissidenz, wird, umrahmt von Elementen einer musikalischen Komposition, in mehreren  Sätzen einer sprachlichen Symphonie eingefangen.

Der Symphonie-Begriff markiert die offene Struktur des Ganzen, während die Freiheit das tragende Thema ist, das Hauptphänomen, dem alle anderen Motive, auch der Widerstand, nachgelagert sind. Freiheit – großes Thema mit Variationen bis hin zur Destruktion des Ideals in der freien Welt des Westens. Die vielen Facetten und Nuancen der großen Thematik werden dabei literarisch zum Zusammenklang gebracht.

Die Geschichte selbst, in welcher der Name des Protagonisten unwichtig ist, steht repräsentativ für vergleichbare Schicksale, speziell im zweiten Band, die von anderen Menschen aus dem ehemaligen Ostblock und in anderen Diktaturen der Welt ähnlich erlebt wurden.

Neben der Gewerkschaftsgründung, die eine reale Einzelgeschichte ist, umkreisen verweisen die zahlreichen Miniaturen, Erzählungen und Essays, das Kernmotiv wie Planeten ihre Sonne, und bilden zwischen Prolog und Epilog angesiedelt, einen Rahmen des Gesamtgeschehens, das die jüngste rumänische Vergangenheit und die aktuelle Situation in Rumänen einzufangen sucht. Der Rhapsodische Block verweist noch einmal auf die Priorität der freien Form des Dionysischen vor der Begrenztheit des apollinischen Systems. Auf diese Weise entsteht ein Ausschnitt aus einer intensiv erlebten Zeit und einer Welt, Vergangenheit spiegelnd und in die Zukunft ausstrahlend.

Ohne den Anspruch, eine ausführliche Autobiographie sein zu wollen, wurde diese Sammlung von Geschichten und Essays in erster Linie für den westlichen Leser geschrieben, für den Deutschen, den Österreicher, den Schweizer, den Franzosen, der sich für das noch ferne Volk der Rumänen interessiert – aber auch für das Schicksal der deutschstämmigen Landleute vor seiner Haustür, die unter den Völkern des Ostens aufwachsen und die Kriegsfolgen austragen mussten.

Meine Symphonie soll auch eine geistige Heranführung sein an eine noch junge europäische Nation, die durch die Jahrhunderte der Geschichte ihrer Selbstwerdung oft selbst Opfer mächtigerer Konstellationen war, aber auch ein Element der inneren Versöhnung unter Deutschen.

Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen werden hier etwas von ihrem Ringen um die schwer zu wahrende, eigene Identität wieder finden und einiges, was ihnen vielleicht aus der Seele spricht, während die genuinen Rumänen selbst, denen hier nochmals die versöhnende Hand gereicht wird, gerade in Gegen den Strom mit der Perspektive eines Deutschen konfrontiert werden, der sie aus einer Minderheit heraus, aber auch von der eigenen kulturellen Warte aus betrachtet.

Keiner aus den im Werk thematisierten Völkern und Volksgruppen wir nur Harmonistisches vorfinden, dem er uneingeschränkt zustimmen kann - doch das liegt im Wesen der Sache. Im Blickpunkt des Autors steht, fern von schönfärberischem Harmoniestreben, die tatsächlich erlebte realsozialistische Gesellschaft in ihrem Querschnitt darzustellen – immer aus der Perspektive des Ankämpfenden, des politisch Andersdenkenden, der manches anders sah, der aber auch heute weit davon entfernt ist, eine ideologische Abrechnung betreiben zu wollen.

 

Geisteswissenschaftlich betrachtet, versuchte ich, zusätzlich die Sicht des Philosophen einzubringen. Da dieser der historischen Wahrheit und dem Ethos mehr verpflichtet ist als der absolut frei und somit wertungsfrei gestaltende Dichter, wird er – bis zu einem gewissen Grad auch aus südosteuropäischer Sicht – politisch-gesellschaftlich doch wesentlich anders werten, indem er aufgrund seiner Erfahrungen existentielle wie ethische Prioritäten setzt, wobei die Klarheit eines Descartes zum Vorbild wird: Nicht Verdunkelung ist angesagt, kein Obskurantismus im neuen hermetischen Gewand des Irrealen, Surrealen und Unmoralischen, sondern ein spätaufklärerisches Erhellen – als Existenzerhellung und als Welterhellung.

 

Der Leser kann in der Symphonie der Freiheit selektiv lesen und nur Teile rezipieren. Er kann auch nur einige Wahlsprüche lesen, jene bunten Federn großer Geister, aus welchen stets die zu exponierende Idee hervor scheint, ohne dass diese näher abgehandelt wird.

Der potentielle Leser darf aber auch von seiner absoluten Freiheit Gebrauch machen und dieses vielleicht verrückte Buch unbesehen links liegen lassen! Oder auch rechts!

Doch wenn er sich zum Lesen überwindet, was heute schon selten ist, wenn er den einzelnen Essay überfliegt, das Zeugnis, die Erzählung, und darüber tiefer räsoniert, wird er manche dort versteckte Idee vorfinden, die ihm vielleicht neue Denkimpulse vermittelt.

Er wird dort Heiteres antreffen und Ernstes. Er wird auf Tristes stoßen und Lustiges; auch auf jene Spur Bitterkeit, die nur einer ganz unterdrücken kann, der über dem Leben steht. Er wird auch manchen Selbstzweifel entdecken und Spuren anderer Zweifel, die nicht weichen wollten. Er wird Humanes vorfinden und Unmenschliches. Und er wird auf einiges stoßen, was ihn zu noch tieferem Nachdenken veranlassen wird, auch über die Welt der Uneigentlichkeit um ihn, die ihn festlegt und bestimmt.

Er wird mit positiven Phänomenen konfrontiert werden, mit freiheitlichen Gedanken, mit Wahrhaftigkeit, mit Menschlichkeit in vielen Formen, aber auch mit überbordender Heuchelei und mit dem immer noch nicht vertilgten Ungeist der Hetze und der Negativität in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Heuchelei und Hetze aber sind in allen ihren Formen trennend und spaltend und somit Gegensätze, ja Feinde des symphonischen Zusammenklangs zu Wahrheit und Freiheit.

Neben dem historisch notwendigen Aspekt, ein Zeugnis formulieren und Tatsachen dokumentieren zu müssen, verbinde ich mit der Symphonie der Freiheit auch noch einige persönliche, subjektive Ambitionen, essentielle Zielsetzungen, die sich, was die Identitätsfindung betrifft, primär an meine direkten Nachkommen richten.

Meine beiden Töchter Melanie und Julia sollen, wenn sie wie ich einst nach ihren Wurzeln suchen und ihrem Selbst, mehr über ihren Vater erfahren, als ich über meine Vorfahren erfahren durfte.

Dem alten Erkenne dich selbst der Griechenwelt, das ein Leben lang anhält, geht die Selbstfindung über die eigene Identität voraus, insofern man offen und bewusst lebt und sich nicht hinter einer Pseudoidentität verschanzt. Auch ich lebte zu lange in der Pseudoidentität und der Pseudoexistenz der Uneigentlichkeit, bevor ich zur alten Freiheit wieder fand und zur existentiellen Selbstkorrektur. Mit 50 Jahren die Memoiren schreiben, Bilanz ziehen, Fragen stellen – das ist eine gute Möglichkeit, korrigierend auf die künftige Existenz einzuwirken, Die Vergangenheit ändern wir nicht mehr – doch wir können die Zukunft kreativ und positiv gestalten, für uns und für die anderen.

Ferner dokumentiere ich in meiner provisorischen Bilanz auch einiges für gute Freunde, für jene, die mich über Jahre zur Niederschrift drängten, weil auch sie glaubten, dass einiges von dem verwerflichen Geschehen in einer Schreckensherrschaft für künftige Generationen festgehalten werden muss. Als schrieb ich auch repräsentativ für langjährige Wegbegleiter im Auf und Ab des Lebens und für Menschen aus meinem weiteren Lebensumfeld, die mir auf ihre Weise nahe stehen.

Und nicht zuletzt schreibe ich natürlich – wie die meisten Schriftsteller dieser Welt - für den mir unbekannten Leser, doch nur für denjenigen, der unvoreingenommen auf einen offenes Buch zugehen kann, auf ein Werk, das trotzdem seinen weltanschaulichen Standort hat.

Die tausend Seiten einer Symphonie der Freiheit sind für einen Leser bestimmt, der an einer freien Konzeption seine Freude hat, am Spiel der Worte und der Gedanken, und diese Freiheiten des Geistes zu genießen weiß.

Je mehr unbekannte Gourmets an meiner Tafel sitzen, an meinem Wein nippen, an meinem Gericht knabbern und probieren, desto eher erreicht diese Kreation, die vor der Häme der Tangierten nicht gefeit ist, ihr Ziel. Doch die Häme kenne ich seit zwei Jahrzehnten. Sie schockte mich zwar und bremste mich aus – doch sie war nicht stark genug, um mich auch zu vernichten. Mein Frühwerk lebt und wirkt, weitaus mächtiger als je zuvor!

Meinen eigenen Kindern aber, und nicht nur ihnen, sondern allen jungen, unverfälschten Aufstrebenden will ich mit diesem Werk ein geschriebenes Vermächtnis hinterlassen, ein Testament, das nicht beim Notar eröffnet wird, eines, das keine materiellen Werte transportiert, sondern geistige Botschaften, die besagen, dass sich der Kampf um Werte immer lohnt, trotz implizierter Rückschläge.

Sie mögen selbst erkennen, dass geistige Herkunft und Tradition keine leeren Wahnvorstellungen sind, kein Chimären und Illusionen, denen man vergebens hinterher jagt, sondern Fundamente, auf denen die eigene Identität und das souveräne Selbst aufgebaut werden - ganz nach dem Motto Nietzsches aus Ecce Homo: Ja, ich weiß, woher ich stamme, das sich leitmotivisch durch dieses Buch zieht.

Mein Testimonium schreibe ich im Geist der Antike als Apologie der eigenen Existenz und als Rechtfertigung des beschrittenen Weges – auch im Künstlerisch-Wissenschaftlichen - in einer arg verfahren Welt der Materie, die das Geistige in vielfacher Form preisgegeben und die den geistigen Menschen fast vergessen hat, aus einem moralischen Impetus heraus, so wie es die selbst sprechenden Fakten vorgeben, ungeachtet aller Toleranz, teils als Klage und, wo es Verbrechen tangiert, auch als Anklage in schärfster Form. Das J’accuse des Zola kann fast überall auf dem Globus ausgesprochen werden. Ich beschrieb nur einen Winkel.

 

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn, dichtet Rilke im Stundenbuch. Diese Publikation knüpft an das Bild des großen Poeten an und zeigt in wechselnder Perspektive von innen nach außen und von außen nach innen die sich ändernden Lebenslinien des Menschen im Fluss. Es zeigt vielschichtige Entwicklungen auf, den viel sagenden Jahresringen eines Baumes gleich, die, vordringend bis zum Wesenskern, aus dem alles emaniert, Auskunft geben. Auskunft über die Güte des Jahres, über sie Höhen und Tiefen eines Lebensprozesses.

Nietzsches Diktum, jeder große Schriftsteller schreibe eigentlich nur ein Buch; alles andere seien Vorrede, Nachreden, Kommentare dazu, stand Pate bei diesem bescheidenen Versuch, etwas aus der eigenen Existenz in einen größeren Kontext rücken zu wollen. Die Einzelgeschichten stehen, wie bereits hervorgehoben, in einem gesamtkonzeptionellen Zusammenhang, ganz wie die existentielle Erkenntniserfahrung in den gesamtphilosophischen Kontext eingebettet wird.

Als dieses Werk im Schreiben heranreifte und wuchs und wuchs bot ich es frühzeitig größeren Verlagen an unter dem Titel: Gegen den Strom – Eine Symphonie der Freiheit. Inzwischen, wenige Monate vor der Veröffentlichung, entschloss ich mich dann, dass sehr umfangreiche Werk in seine zwei organisch gewachsenen Teile aufzuspalten, allein aus editorischen Gründen.

Somit liegen nun zwei Werke vor, die eng miteinander verknüpft sind, Siamesischen Zwillingen gleich und mit dem Hauch des Janusköpfigen ausgestattet, zwei Bücher, die um ein großes Thema kreisen, um den Freiheitskampf im Widerstand.

Während die Symphonie ein Buch über Rumänien ist, das darlegt, was Terror und Angst vermögen, umschreibt der zweite Band Gegen den Strom das Schicksal der Deutschen Minderheit in Rumänien und erklärt die Gründe des Exodus.

Lenau glaubte einmal sich dafür entschuldigen zu müssen, dass sein Herzblut in einem bestimmten Werk nicht regelmäßig verströmt sei. Das gleiche Phänomen kennzeichnet auch diese Bücher – die Betroffenheit blieb, auch nach fast dreißig Jahren Distanz zu den Geschehnissen. Chaos und Schrecken lassen sich nicht so gleichmäßig darstellen, wie es der deutsche Professor, der viel vom Leben weiß, erwartet. Das Leben, das sagte ihm auch Nietzsche, ist chaotisch – und jede seiner Darstellungen bricht sich, wie Zola betont, in einem Temperament – und in einer Betroffenheit, die nie aus der Welt zu schaffen ist. Wer schlimme Dinge erlebt hat, weiß davon.

 

Authentisch ist alles, was ich selbst erlebt habe. Alle anderen Zusatzinformationen, die den Hintergrund zur eigenen Erlebniswelt bilden, wurden so gut wie möglich in langwieriger Forschungsarbeit recherchiert; und alle Gespräche mit Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die ich zum Teil vor vielen Jahren geführt habe, wurden nach bestem Wissen und Gewissen rekonstruiert, wobei der Geist der Gespräche über das exakte Wort gestellt wurde. Deshalb wurde – in einer freiwilligen Konzession – der Literat manchmal dem Wissenschaftler und der Dichter gelegentlich dem Denker untergeordnet, damit auch bei mir Aristoteles über Platon hinausgeht.

Neben der Antike, deren humanistische Leistung in diesem Werk mit gewürdigt werden soll, dem Mythos und dem Symbol, schwingen hier noch zwei weitere Substanzen mit, die heute ebenfalls auf der roten Liste stehen: die Freundschaft und die Loyalität.

Es sind zwei Tugenden, die ich vielfach erfahren durfte, Werte, die das Menschsein mit ausmachen

Der große Report zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien hat vieles an Fakten und Phänomenbeschreibungen zu Tage gefördert, was an dieser Stelle im Vorfeld erarbeitet wurde – und er hat vieles davon bestätigt. Gleichzeitig hat das dokumentative wie analytische Werk der fast fünfzig Autoren um Professor Vladimir Tismăneanu, das in seiner Art einzigartig ist, noch einmal meinen Blick auf Essenzen gelenkt und eine zusätzliche Fokussierung der Themen ermöglicht. Dafür bin ich dankbar und hoffe, dass sich das große Aufarbeitungswerk, dass sich, ungeachtet seines hohen Wertes, nur als erster Schritt auf einem langen Weg der Vergangenheitsbewältigung versteht, auch in andern Sprachen Verbreitung findet, damit ihm die generelle Wertschätzung zukommt, die es verdient. Aus vielen Einzelbeiträgen und Sichtweisen formt sich irgendwann ein Ganzes, das der historischen Wahrheit und der gesellschaftlichen Gerechtigkeit nahe kommt. Mein Beitrag ist nur ein Baustein an einer großen Pyramide, die zum Licht des Himmels strebt.

 

Die Welt ist bunt. Etwas von der Farbigkeit ist in dieses Buch mit eingeflossen; auch einiges von ihrer Mehrdeutigkeit und Relativität. Obwohl der Ernst der Materie teilweise die Grenzen der Enttäuschung tangiert, bleibt noch viel Raum für das Phänomen des Schönen, teils als Poesie – und noch ausgeprägter als Musik.

Etwas von dem, was das Wort der Musik noch an Erklärendem hinzufügen kann, auch an Nachdenken über Musik, wurde in diesem Buch ebenfalls versucht, soweit es die Konzeption gestattete. Vielleicht erklingen einmal in einer späteren Hörbuchfassung auch die genialen Kompositionen an jenen Stellen, wo sie eingearbeitet wurden, wie im Film als Zeugnis eines individuellen Musikgeschmacks, der von Idee der Freiheit diktiert wurde.

 

Die Symphonie der Freiheit ist ein offenes Buch für freie Geister der Jetztzeit, ohne sieben Siegel; ein Buch für jedermann, der sich nicht festgelegt und kritisch mit unserer vernetzten Welt auseinandersetzt. Es ist kein Werk für rückwärtsgewandte Nostalgiker, die, in ideologischen Scheuklappen gefangen, an der Statik einer weitgehend untergegangen Welt von Gestern festhalten, aber ein Stimulans für Freunde der reflektierten Reminiszenz, die bewusst auf ihre eigene Geschichte in der Gesamtgeschichte zurücksehen, sie analysieren und ganzheitlich deuten.

Die Symphonie der Freiheit soll eine Brücke sein für europäisch ausgerichtete Menschen, die auf tradierten Werten aufbauend mit selbstbewusster, nationaler wie individueller Identität sich einem näher rückenden Volk und Land interessiert zuwenden wollen.

Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Sudetendeutsche, Schlesier, Russlanddeutsche und zahlreiche Auslandsdeutsche aus anderen Gegenden Osteuropas und der Sowjetunion hatten - beginnend mit den Anfängen der Kolonisation bis hinein in die jüngste Auseinandersetzung mit den kommunistischen Regierungen der Nachkriegszeit - in ihrem Ringen um nationale Identität und auf ihrem Weg in die individuelle Freiheit viel zu leiden. Alles, was über Generationen aufgebaut wurde, ist heute, über materielle Güter hinaus, weitgehend verloren: Heimat, Geborgenheit, Freundschaft, Identität – vieles als Opfergabe an die Freiheit! Nachdem mein erstes Buch dem Freiheitshelden Lenau galt, widme ich die Symphonie der Freiheit und somit das Buch, das ich als mein eigentliches ansehe, nicht nur meinen beiden Töchtern Melanie und Julia, die Teil meines Selbst sind, sondern allen Adepten und künftigen Aspiranten der Freiheit: Den Heroen aller Nationen, die den Kampf für die große Idee zu allen Zeiten in allen Formen austrugen - und jenen Unbekannten, die für den hohen Wert ihr Leben hingaben.

Diese Schrift eigne ich der großen Volks- und Leidensgemeinschaft zu, aus der ich selbst stamme und der ich mich sehr verbunden fühle, weil sie ihr Opfer mit Würde trug.

Im Besonderen aber widme ich die Symphonie der Freiheit den aufrechten Charakteren unter den Deutschen, die in jüngster Vergangenheit gleich gegen zwei totalitäre Machtssysteme anzukämpfen hatten.

Die Symphonie der Freiheit soll eine große Hommage sein an den Deutschen Widerstand, der sich gegen Nationalsozialismus und Stalinismus richtete und der von Menschen getragen wurde, die ein anderes Deutschland repräsentierten.